„Ich soll fertiggemacht werden“

von Redaktion

VON MIKE SCHIER

München – Es ist eine Szene voller Symbolkraft: Hubert Aiwanger will nach vorne – doch die Presse steht ihm dabei im Weg. Vor der kleinen Bühne im Wirtschaftsministerium sind einfach zu viele Kameras aufgebaut, die auf den Hausherren warten. Nur 55 Minuten zuvor war die Einladung rausgegangen, aber die Journalisten sind herbeigeeilt. Denn Aiwanger tut gestern Nachmittag das, worauf viele seit Tagen warten: Er erklärt sich zu den Vorwürfen rund um seine Jugend, und er entschuldigt sich. Nach einer Minute und 40 Sekunden ist alles vorbei.

Genau genommen hat er es ja tags zuvor schon versucht. In typischer Aiwanger-Manier. Irgendwo im ländlichen Raum hat er spontan auf einem besseren Feldweg stehend beteuert, noch nie Antisemit gewesen zu sein. Der Minister spricht immer frei – ob im Bierzelt oder im Landtag. Und meistens funktioniert das bestens. Aiwanger ist ein guter Redner. Doch jetzt, wo jedes Wort sorgsam gewogen werden muss, geht der Schuss nach hinten los. Er gibt zu, in der Jugendzeit könne „das eine oder andere so oder so interpretiert werden“. Und dann: „Ich sag: Seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte – kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.“

Am Ende bleibt davon: Seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit. Und vorher? Politprofis schlagen am Mittwochabend die Hände über dem Kopf zusammen. Sekundärfehler nennen sie das. Die erste Meldung – in diesem Fall die noch immer ungeklärten Flugblatt-Vorwürfe – kann man nicht ändern. Aber danach sollte man halt keine weiteren Fehler machen. Und dann dieser Feldweg-Auftritt! Eine „Katastrophe“ stöhnen sie selbst in der Spitze der Freien Wähler.

Deshalb sagt Aiwanger am Donnerstagmorgen alle Termine als Minister ab. Nur der Abend im Bierzelt bleibt. Auch darin steckt Symbolik, denn dort, an der Basis, sind die Verbündeten. Die Rückmeldungen an den Wahlkampfständen sind eindeutig pro Aiwanger. Nach Informationen unserer Zeitung gibt es seit Samstag, als die Vorwürfe öffentlich wurden, erkennbar mehr Mitgliedsanträge als sonst üblich.

Jetzt aber sitzt Aiwanger im Wirtschaftsministerium vor den Journalisten. Kein Heimspiel, obwohl er der Hausherr ist. Diesmal liest er ab (siehe Kasten). An vieles kann er sich nicht erinnern. Aber er entschuldigt sich für sein Verhalten in den vergangenen Tagen. Ob das reicht? Offen. Sogar bei den Freien Wählern glauben viele, Aiwanger hätte sich den meisten Ärger erspart, wenn er schon am Samstag so aufgetreten wäre. Aber er mache die Dinge eben am liebsten mit sich selbst aus.

Hinten im Raum hat ganz unauffällig Michael Piazolo Platz genommen. Offenbar gehört der Kultusminister zu jenen, auf die Aiwanger diesmal hört. Fraktionschef Florian Streibl lobt die Erklärung fast erleichtert und versichert: „Auch in Zukunft werden alle Abgeordneten unserer Fraktion das Gedenken an die sechs Millionen Opfer der Shoah lebendig halten.“

Die Opposition ist natürlich wenig zufrieden. Viele Fragen bleiben ungeklärt, kritisiert Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. „Zum Beispiel die, warum er erst alles abstreitet.“ Grüne, SPD und FDP haben den sogenannten Zwischenausschuss des Landtags einberufen. Nächsten Donnerstag tagt er. Dieser kann den Minister zwar nicht entlassen, aber er könnte den Ministerpräsidenten dazu auffordern.

Doch dazu bräuchte es eine Mehrheit – und davon sind die drei Parteien weit entfernt. Hinter den Kulissen diskutiert man, ob es Abweichler im Koalitionslager geben könnte. Bei der CSU ist weiter Dampf auf dem Kessel. Intern wird nach Informationen unserer Zeitung erwogen, die Fraktionsdisziplin aufzuheben. Wie viele dann für Aiwanger die Hand heben?

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