Bad Griesbach – Als Hubert Aiwanger das Bierzelt betritt, werden „Hubert! Hubert!“-Rufe laut. Von Blasmusik begleitet geht der stellvertretende Ministerpräsident an voll besetzten Biertischen entlang, die Menschen strecken ihm die Hände entgegen, filmen und applaudieren begeistert. „Durchhalten!“, ruft ihm ein Mann zu.
„Danke für diesen wunderbaren Empfang, das tut mir gut“, sagt Aiwanger dann am Rednerpult. Er geht gleich in medias res: „Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß’ gemacht. Jawohl, ich habe auch Mist gemacht.“ Und weiter: „Das Flugblatt war scheußlich, das ist nicht wegzudiskutieren.“
Aber: Es sei nicht in Ordnung, jemanden mit Dingen zu konfrontieren, die 35 Jahre zurücklägen, „bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung“. Es gebe viele Dinge, die man im Nachhinein nicht mehr machen würde. Aber man müsse einem Menschen zubilligen, im Leben gescheiter zu werden. Es handele sich um eine geplante Schmutzkampagne gegen ihn, „vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen“. Beifall.
Viele stehen zu Aiwanger. Das ist auch der Eindruck, der in den Parteizentralen in München ankommt. Auch deshalb ist Markus Söder zuletzt etwas schweigsam. „Die Entschuldigung gestern war dringend notwendig“, erklärt er am Freitagmorgen, vermutlich nach sorgfältigem Studium der medialen Lage. „Sie war auch überfällig.“ Es blieben aber noch Fragen offen. „Ob es am Ende alles ausreicht, wird man erst nach der Beantwortung der Fragen entscheiden.“ Am besten bis zum Abend wolle er die Antworten auf seine Fragen. Aiwanger verspricht mittags, sich zu beeilen.
Der Druck auf Söder wächst. Soll er Aiwanger entlassen? Reicht dazu die Beweislage? Die Stimmungslage ist keineswegs eindeutig. Hier die Unterstützer im Volk. Dort die politischen Institutionen, die ein Ministerpräsident nicht einfach ignorieren kann. Zum wiederholten Male äußert sich die Bundesregierung, die nicht vergessen hat, wie oft man sie aus Bayern attackiert hat. „Hier geht es inzwischen auch um das Bild, das der Freistaat Bayern in der Welt abgibt“, sagte Vize-Sprecher Wolfgang Büchner in Berlin.
Auch Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) kritisiert, Aiwangers bisheriges Verhalten entspreche „nicht der besonderen Verantwortung und Vorbildfunktion, die ihm als Träger eines hohen Staatsamtes zukommen“. Eigenartig sei die von Aiwanger „wiederholt vorgetragene Umkehrung von Ursache und Wirkung. Ursache und Anlass für die gesamte Debatte sind das unerträgliche Flugblatt und weitere Vorhalte, nicht die Fragen nach der Aufklärung.“
Inzwischen wird aber auch eine Debatte geführt, ob das Flugblatt überhaupt antisemitisch gewesen sei – nicht zuletzt weil Juden nicht explizit erwähnt wurden. „Es ist kein antisemitisches Hetzblatt, wie es aus Entrüstung überall genannt wird“, sagte der renommierte Historiker Wolfgang Benz der „SZ“. Es sei „neonazistisch wegen der Verhöhnung aller Opfer des Nationalsozialismus“.
Andere Experten finden die Bezeichnung gerechtfertigt. „Für meine Begriffe lässt sich Rechtsextremismus und Antisemitismus nicht voneinander trennen. Das Flugblatt enthält verschiedene antisemitische Narrative, auch wenn die jüdischen Verfolgten nicht explizit genannt werden“, sagte Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, unserer Zeitung. „Die in Aussicht gestellten ,Preise’ beziehen sich aus der rechtsextremen Perspektive auf die besonders verhassten Verfolgtengruppen. Das sind neben den jüdischen Häftlingen vor allem die Widerstandskämpfer.“ Die Überlebenden des Konzentrationslagers seien fassungslos. mik/dgö/dpa