München – Der Senatssaal im bayerischen Landtag ist genau der richtige Ort für ein Drama dieses Ausmaßes. An der langen Wand links hängt – 5,60 mal 9,80 Meter groß – Wilhelm von Kaulbachs „Seeschlacht bei Salamis“. Das Gemälde erzählt, episch und finster, vom Sieg der Griechen über die Perser oder, tiefer gedacht, vom Sieg der Kultur über die Barbarei. Womit wir beim Donnerstag wären.
Dann wird im Senatssaal ein modernes Drama verhandelt, das um den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, ein extremistisches Flugblatt, Hitlergrüße. Weil die Sache dringend ist und nicht bis nach der Wahl warten kann, haben Grüne, SPD und FDP den „Zwischenausschuss“ beantragt, eine Art Not-Plenum. 51 Abgeordnete aller Fraktionen kommen zusammen und bilden einen Mini-Landtag. Der Plenarsaal gegenüber wäre wohl ein nüchternerer Ort gewesen. Er steht aber nicht zur Verfügung.
Die Affäre um Aiwanger hat auch im Maximilianeum einiges durcheinandergebracht. Eigentlich dachte man, jetzt in der Sommerpause in aller Ruhe überfällige Modernisierungen durchführen zu können: neue Technik, bessere Belüftung, klarere Akustik. Der Plenarsaal ist deshalb im Moment eine Baustelle, nicht zugänglich, selbst die Abgeordnetentische wurden abgeschraubt. Sie lagern jetzt, ausgerechnet, im Senatssaal.
Am Freitag ähnelt der Raum deshalb noch einer Rumpelkammer: Der Boden ist abgeklebt, überall liegen Tische, an einem machen drei Arbeiter gerade Mittagspause. Damit der Raum bis Donnerstag hergerichtet ist, muss noch viel passieren: Am Wochenende soll er leer geräumt werden, dann folgt die Feinplanung. Übertragungstechnik muss eingerichtet, Stühle aufgestellt werden. Klingt nach Pipifax, ist es aber nicht. Denn die Regeln sehen vor, dass das Plenum samt Sitzordnung genau nachgebaut wird: AfD neben FDP neben CSU und so weiter. Gleichzeitig sollen, jenseits der Abgeordneten, möglichst viele Journalisten und Besucher Platz finden. Es ist also eine große Knobelei. Wo die Sitzungsleitung sitzt, wo das Kabinett – unklar. Vielleicht ja an der langen Wand, die Seeschlacht im Rücken.
All das kostet Zeit und wirbelt den ohnehin eng getakteten Umbauplan des großen Plenarsaals durcheinander, der ja trotzdem bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Landtags fertig sein muss. Aber es hilft nichts, die Causa Aiwanger drängt.
Die Sitzung selbst ist klar geregelt: Den Vorsitz haben zunächst der CSU-Mann Hans Herold (68) als ältestes Mitglied des Ausschusses und die beiden Grünen Florian Siekmann (28) und Tim Pargent (30) als jüngste Mitglieder. Dann wird ein neuer Vorsitz gewählt – lange aufhalten will man sich damit nicht.
Es ist, alles in allem, eine besondere Situation. Ein Zwischenausschuss trat in Bayerns Nachkriegsgeschichte erst sechs Mal zusammen, erstmals 1951, zuletzt 2008. Verhandelt wurden Skandale – etwa der um den Juristen Hans Georg Langemann, der in den 1980er-Jahren Geheimdienstinformationen an eine Zeitschrift weitergegeben haben soll. Vor 15 Jahren trieb die Abgeordneten dann die Finanzkrise um und die Frage, ob der Freistaat sich am milliardenschweren Banken-Rettungspaket beteiligt. Es waren Alarmsituationen, stets ging es um was. Diesmal steht immerhin eine Ministerkarriere auf dem Spiel – und das Ansehen Bayerns.
So sieht es jedenfalls die Opposition. Mit der Sondersitzung zielt sie nicht nur auf Aiwanger und die vielen offenen Fragen rund um die Urheberschaft des antisemitischen Flugblatts – sondern auch auf Ministerpräsident Markus Söder. Dessen bisherige Schritte in der „Hetzschrift-Affäre“ seien „absolut unzureichend“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Grünen, SPD und FDP. „Markus Söder zögert und spielt auf Zeit. Deshalb handeln wir“, erklärt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. Im Zweifel müsse man nötige Konsequenzen ziehen. Aiwanger sei, Stand jetzt, „untragbar geworden“.
Das mit den Konsequenzen ist aber so eine Sache: Der „Zwischenausschuss“ hat im Großen und Ganzen die gleichen Rechte wie der voll besetzte Landtag – allerdings auch nicht mehr. Er kann Aiwanger also nicht entlassen, wohl aber eine Empfehlung dafür aussprechen. Dazu könnte es kommen, gerüchteweise soll die Abstimmung freigegeben werden. Rauswerfen könnte den Minister dann aber nur einer: Markus Söder.