„Ich hätte zu Aiwanger gesagt: Nachsitzen!“

von Redaktion

INTERVIEW Politologin Ursula Münch zu Aiwangers Antworten und Söders Entscheidung

Markus Söder hält an Hubert Aiwanger fest. Wir fragten Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing nach ihrer Einschätzung.

Sind Sie überrascht von der Entscheidung Söders?

Ich habe ihn um diese Entscheidung nicht beneidet – und erst recht nicht um die Begründung. Aber es blieb ihm fast nichts anderes übrig, weil die Faktenlage nicht eindeutig ist. Ein großer Teil der eigenen Wählerschaft hätte eine Entlassung nicht nachvollziehen können.

Die 25 Antworten von Aiwanger können eigentlich nicht den Ausschlag gegeben haben.

Ich hätte Herrn Aiwanger die Antworten noch einmal zurückgegeben und gesagt: Nachsitzen! Das ist mehr als unbefriedigend. Alles Relevante erinnert er nicht. Am meisten überrascht, ja verärgert mich, dass er eine inhaltliche Antwort vermeidet, ob er Hitler-Reden imitiert und Hitler-Bärtchen getragen hat. Er bereut auch nicht richtig. Das ist sehr unbefriedigend.

Söder gibt sich trotzdem damit zufrieden.

Es ist clever von beiden, sich auf ein langes persönliches Gespräch zu beziehen, wo angeblich die größten offenen Fragen ausgeräumt wurden. Das kann keiner nachprüfen, weil keiner von uns dabei war. Sehr praktisch.

Meinen Sie, da ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in den nächsten fünf Jahren möglich?

Das Verhältnis Söder/Aiwanger wurde schon während Corona auf die Probe gestellt, als sich beide schwierig verhalten haben. Söder hat Aiwanger öffentlich vorgeführt, weil er sich nicht impfen lassen wollte. Und Aiwanger hat damals eine höchst schwierige Argumentation ins Feld geführt. Später haben Söder dann Aiwangers Äußerungen in Erding missfallen, erst recht, weil diese bei vielen an der CSU-Basis gut ankamen. Ich kann mir also kaum vorstellen, wie man das wieder kitten will. Aber es scheint immer noch vertrauensvoller als mit anderen möglichen Koalitionspartnern.

Zurück zu Aiwanger: Es gibt die Befürchtung, dass durch seine Reaktion auf die Vorwürfe eine Verschiebung im Umgang mit Antisemitismus stattfindet. Teilen Sie das?

Ja, die teile ich. Aber diese Sorge gibt es schon seit geraumer Zeit. Wir gehen immer davon aus, dass die politische Mitte gemäßigt ist. Aber die politische Mitte kann sich auch radikalisieren. Solche Tendenzen sind zu beobachten. Mich treibt auch mit Blick auf die politische Bildung um, dass Aiwanger die Schuld den Medien gibt und von einer Kampagne spricht.

Sie waren ja auch kritisch,

Stimmt. Im ersten Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ waren mir zu viele Verdächtigungen und zu wenig Beweise. Auch die Darstellung einer stringenten Entwicklung vom jungen Aiwanger zum heutigen Politiker war mir zu tendenziös. Aber als sich dann doch Zeugen auch namentlich zu Wort meldeten, wäre es meines Erachtens notwendig gewesen, dass sich Herr Aiwanger umgehend und eindeutig entschuldigt und klar von den frühen Verfehlungen distanziert. Stattdessen lesen wir jetzt von ihm: „Die Kampagne ist gescheitert.“ Das verändert den Diskurs. Es geht nicht mehr darum, was jemand falsch gemacht hat, sondern um die Frage, ob jemand frei dazu recherchieren darf. Das spielt auf der Klaviatur der „Lügenpresse“-Vorwürfe, auch wenn Aiwanger es nicht so nennt.

Dabei gab es ja auch innerhalb der Presse einen kritischen Umgang mit den Recherchen.

Eben. Und das war gut so. Die „Süddeutsche“ hat viele Watschn bekommen, es gab eine kritische Debatte über diese Berichterstattung. Das zeigt doch, dass unsere freie Presse funktioniert. Mit seiner Pauschalkritik an den Medien, die für unsere freiheitliche Demokratie unverzichtbar sind, macht es sich Aiwanger zu leicht.

Interview: Mike Schier

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