Abensberg – Nach einigen Minuten halten es die Besucher nicht mehr aus. Hubert Aiwanger erzählt, dass Leistungsträger in Deutschland demotiviert werden würden – und wird unterbrochen. Mitten im Satz, an einer Stelle, die gar keine Pause vorsieht, erfasst der Applaus das Kuchlbauer Weißbierstadl. Vereinzelte Besucher stimmen Sprechchöre an: „Wir wollen den Hubert sehen.“
Denn den Hubert, den sie sonst kennen, haben sie zuvor nicht gesehen. Ruhig und betont überlegt hat er gesprochen, sich zaghaft zu den Themen vorgewagt. Ein Beispiel: Als er über das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung spricht, das Menschen erleichtert ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen zu ändern, schiebt er vor: „Das sind jetzt harte Worte. Ich habe überlegt, ob ich das ansprechen soll, ich war mir nicht sicher. Es gibt auch viele Menschen, denen man nicht unrecht tun will.“ Anschließend kritisiert er, dass hinter einer möglichen jährliche Änderung der Einträge „keine politische Vernunft“, sondern „Ideologie“ stecke.
So arbeitet der 52-Jährige seine Kritik an der Ampel ab: von der Cannabis-Legalisierung, über den Pflegenotstand bis zu Denkverboten.
Nur das, was ihn selbst und das politische Deutschland in den letzten Tagen am meisten beschäftigt hatte, spart er aus. Mit keinem Wort erwähnt er die Flugblatt-Affäre. Diesen heiklen Job überlässt er seinen Vorrednern.
Die sprechen zwar kaum über den Inhalt der Vorwürfe, gehen jedoch umso klarer zum Gegenangriff über. Schon in ihren Begrüßungsworten setzt Generalsekretärin Susann Enders den Ton und spricht von einer „riesigen Kampagne“. Wahlweise werden im Folgenden die Medien oder die politischen Gegner für diese „Kampagne“ verantwortlich gemacht. Dennis Diermeier, Direktkandidat für den Landkreis Kehlheim bei der kommenden Wahl, etwa poltert: „Es gab die Äußerung: Aiwanger schadet dem Land. Liebe SPD und Grüne, ihr fahrt unser Land sehenden Auges an die Wand.“ In die andere Richtung zielt Fabian Mehring, der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion: „Politik wird da gemacht, wo sie auf die Lebensrealität der Menschen trifft. Nicht auf dem Tisch der SZ- Redaktion, sondern bei uns.“ Gleichzeitig betont Mehring eine Abgrenzung der Freien Wähler nach rechts. „Ich kenne keinen Freien Wähler, dessen politische Heimat nicht geradeaus in der Mitte liegt“, behauptet er und meint zu Aiwanger, dieser habe „mehr Demokratieverständnis im kleinen Finger als diese Kesseltreiber im ganzen Kerl.“
Argumente, die viele Besucher äußern. Die 72-jährige Maria aus dem Altmühltal, die ihren Nachnamen nicht nennt, sagt: „Das ganze wurde von der Presse so aufgebläht.“ Sie selbst besuche seit 16 Jahren die Freien Wähler auf dem Gillamoos und ordnet Aiwangers Rede als „sehr ruhig“ ein. Umso begeisterter sei sie aber von der Unterstützung für den Parteichef. „Der Applaus, das war früher noch nicht so wie jetzt. Das war Wahnsinn.“
Das spürt auch Aiwanger. Mit den immer häufigeren Ovationen lockert er die – selbst oder von Söder auferlegten – Zügel etwas und wird lauter. Dabei nimmt er sich unter anderem den Themen Einwanderungspolitik („wir brauchen geordnete Zuwanderung statt Zuwanderungschaos“), Altersarmut oder dem Bürgergeld an.
Und dann streift er die letzten Tage doch noch. Zumindest ganz sanft, als er über das Heizungsgesetz der Bundesregierung spricht. Denn sein Auftritt auf der Demonstration im Juni in Erding rund um die kritisierte Äußerung, die schweigende Mehrheit müsse sich die Demokratie zurückholen, war auch im Zuge der Flugblatt-Affäre noch mal thematisiert worden. Nun rechtfertigt er sich: „Ich sah mich in keiner anderen Situation, als die Dinge so beim Namen zu nennen.“ Schon zuvor meinte er, diese Taktik sehe er auch durch den Blick auf Umfragewerte von „Randparteien“ in ostdeutschen Bundesländern bestätigt. „Wir müssen den Menschen in der Mitte ein Angebot machen“, sagt er dazu und: „Die Demokratie ist in höchster Gefahr.“
Abteilung Attacke überlässt er den anderen