Kiew – Außenministerin Annalena Baerbock hat der Ukraine bei ihrem gestrigen Besuch in Kiew keine Hoffnung auf eine schnelle Entscheidung der Bundesregierung über eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gemacht. „Uns ist die Situation mehr als bewusst“, sagte die Grünen-Politikerin nach einem Gespräch mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba. „Zugleich reicht es eben nicht aus, Dinge nur zu versprechen“, sagte sie. Wie vor der Lieferung des Luftabwehrsystems Iris-T und den anderen deutschen Waffenlieferungen müssten zunächst „alle Fragen geklärt sein“.
Baerbock versicherte zugleich, es könne keine Gewöhnung an die russischen Gräueltaten geben. Deswegen stehe Deutschland der Ukraine bei, so lange es nötig sei. „Wir in Europa wissen: Ihr verteidigt hier auch unsere europäische Freiheit. Dafür sei man den Ukrainern „auf ewig dankbar“.
Kuleba reagierte mit deutlichen Worten auf das weitere Zögern der Bundesregierung bei der Bitte Kiews nach den weitreichenden Marschflugkörpern, mit deren Hilfe sein Land Ziele hinter den großen russischen Minenfeldern treffen will. „Ich verstehe nicht, warum wir Zeit verschwenden“, sagte der Diplomat. Ukrainische Soldaten und Zivilisten seien aufgrund des Zögerns getötet worden. „Es gibt kein einziges objektives Argument, das dagegen spricht“, sagte er.
Wenn Berlin Fragen zum Einsatz habe, sei Kiew bereit, diese zu beantworten, sagte Kuleba. „Lasst es uns tun. Je eher es geschieht, umso höher wird unsere Wertschätzung sein“, sagte er. Gleichzeitig dankte Kuleba Deutschland für die bereits gelieferten Waffen. Insbesondere hob er die Effektivität der Gepard-Flugabwehrpanzer hervor.
Die Ukraine fordert seit Längerem Taurus-Marschflugkörper. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte sich im August bei einem Besuch in Kiew zuversichtlich über eine schnelle Entscheidung gegeben; es passierte allerdings seither nichts. Kanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich dazu bisher immer zurückhaltend. Als Grund für die bislang ausgebliebene deutsche Entscheidung für Taurus-Lieferungen gelten Befürchtungen, dass die modernen Marschflugkörper von der Ukraine auch auf Ziele auf russischem Territorium abgefeuert werden könnten und Russland dann Vergeltung üben könnte.
Heute tritt Baerbock einen ungewöhnlich langen Besuch in den USA an. Stationen der mehr als eine Woche dauernden Reise sind der Bundesstaat Texas, die US-Hauptstadt Washington sowie New York, wo Baerbock in der kommenden Woche an der Generaldebatte der UN-Vollversammlung teilnehmen wird, wie das Auswärtige Amt mitteilte. Ein Ziel der Reise sei es, „auch außerhalb der Hauptstadt mit den Menschen und politischen Verantwortungsträgern beider großen Parteien ins Gespräch zu kommen“, sagte ein Sprecher.
Erste Station der Reise ist die texanische Hauptstadt Austin, wo Baerbock am Dienstag vom republikanischen Gouverneur Greg Abbott empfangen wird. Abbott gilt als erzkonservativer Republikaner. Er ist ein Gefolgsmann des Ex-Präsidenten Trump und hat sich unter anderem durch entschiedene Gegnerschaft zum Recht auf Abtreibung profiliert.