Bürokratie-Problem

Lähmende gute Absichten

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

Im Schlachthaus, im Rathaus, in der Arztpraxis oder im Pflegeheim: Überall wird über den Bürokratie-Wahnsinn geschimpft, der die tägliche Arbeit belastet wie eine Eisenkugel am Bein. Der Metzger muss die Brühtemperatur jeder Wurst notieren, die Pflegekraft jeden Handgriff dokumentieren. Ein Albtraum aus Formularen.

Doch gleichzeitig ist ein großer Teil dieser Bürokratie nicht im luftleeren Raum entstanden. Dass Medizinprodukte im Fünf-Jahres-Turnus neu zugelassen werden müssen, selbst wenn sie seit Jahrzehnten einwandfrei funktionieren, ist nicht einem Brüsseler Bürohengst aus Langeweile eingefallen, sondern die Folge eines Brustimplantate-Skandals. Und dass manche Klinik-Chefs ihren Leuten noch mehr Dokumentationspflichten auferlegen als gesetzlich vorgegeben, liegt oft daran, dass sie im Falle einer Prüfung auf alles vorbereitet sein wollen. Die Fälle stehen exemplarisch für viele gute Absichten, die zum Bumerang wurden. Auch das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorangetriebene Online-Qualitätsverzeichnis für Kliniken birgt nun diese Gefahr.

Klar, Bürokratie-Abbau ist zuvorderst die Aufgabe der Politik. Noch immer werden auf EU-Ebene viel mehr Regeln eingeführt als abgeschafft, noch immer überlappen sich Regelungen aus verschiedenen Bereichen, noch immer werden Gesetze zu wenig auf ihre Folgen hin durchleuchtet. Das muss sich ändern. Aber auch unsere Gesellschaft muss verstehen, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann. Und dass der Versuch, sie mit immer noch mehr Kontrolle trotzdem zu erreichen, lähmend ist.

Sebastian.Horsch@ovb.net

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