Söders Migrations-Dilemma

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Der „BR“-Bayerntrend war gerade veröffentlicht worden, da schickten die Freien Wähler im Landtag eine ziemlich lange Pressemitteilung los. Titel: „Mehr Bern und weniger Berlin!“ Der Inhalt, kurz: Deutschland brauche in der Migrationspolitik „grundlegende Richtungsänderungen“, schnellere Asylverfahren, Rückführungsabkommen, all das, was die Berliner Ampel zwar verspricht, aber nicht liefert. Der Abgeordnete Alexander Hold rät zum Blick in die Schweiz: Die mache vor, „wie Verfahrensbeschleunigung völkerrechtskonform“ funktioniere.

Ähnliches hatte kurz zuvor Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gesagt, mit dem Unterschied allerdings, dass er das Vorbild nicht in Bern, sondern in Wien sieht. Daraus nun einen Dissens zu konstruieren, wäre natürlich Unsinn. Bayerns Koalitionäre sind sich im Gegenteil ziemlich einig: Die anderen machen es besser, also besser als Berlin.

Dass die Koalitionspartner das Thema am Dienstag, keine vier Wochen vor der Landtagswahl, so betonen, hat nicht nur, aber sicher auch mit oben genanntem Bayerntrend zu tun. Der hat nämlich ergeben, dass die Wahlberechtigten im Freistaat Zuwanderung und Flucht für das drängendste aller drängenden Themen halten. 27 Prozent der Befragten sind dieser Ansicht, bei der Vorgängerbefragung im Januar waren es noch 20 Prozent. Mit Abstand folgen die Energiepolitik (22 Prozent), Umwelt- und Klimaschutz (19), Bildung (13) sowie Wirtschaft (11).

Es sieht also ganz so aus, als werde Migration in den nächsten Wochen doch noch das große Wahlkampfthema. Das ist angesichts hoher Asylzahlen und anhaltender Klagen aus den Kommunen nicht verwunderlich – einerseits. Andererseits hätte sich das gerade die CSU wohl gerne erspart. Eine der Lehren aus dem Landtagswahlkampf 2018 war ja, dass man sich an der Migration böse die Finger verbrennen kann, wenn man den richtigen Ton nicht trifft. Söder warnte damals im Fernsehen vor „Asyltourismus“, am Ende profitierte die AfD. Der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume formulierte die Erkenntnis später so: Ein Stinktier könne man einfach „nicht überstinken“.

Daraus zogen alle ihre Lehren, auch die CSU. Bis zum Frühjahr blieb die Partei mit Blick auf Migration weitestgehend still, auch dann noch, als Bundesinnenministerin Nancy Faeser die lauten Klagen aus Ländern und Kommunen als unbegründetes Genöle abtat. Aber der interne Druck wuchs, in der CSU muckten zuerst die Kommunalpolitiker auf. Söder nahm das aufmerksam wahr, delegierte das heiße Thema aber zunächst an seinen Innenminister Joachim Herrmann. Jetzt ist der Punkt gekommen, an dem er selbst offensiv eingreift.

Aus Söders Sicht ist das nötig, aber eben nicht ohne Risiko. Nötig, weil das Problem stetig größer wird und die Rechtspopulisten wachsen lässt. Das betrifft nicht nur die Zustimmungswerte, sondern auch die Frage, wem die größte Lösungskompetenz zugeschrieben wird. Laut Bayerntrend ist das beim Flüchtlingsthema zwar noch immer die CSU (27 Prozent) – dann folgt aber die AfD mit 16 Prozent. Dabei zeichnet sich ein Trend ab: Die Kompetenzzuschreibung der Christsozialen bei dem Thema fällt seit einigen Jahren, die der AfD steigt. Das zu drehen, dürfte schwierig werden: Denn Söder kann fordern, was er will – am Ende liegen beim Asylthema zentrale Kompetenzen beim Bund.

Die Aufgabe ist also verzwickt. Söder versucht es mit einem Dreiklang: deutliche Abgrenzung von der Migrationspolitik der Ampel, zugleich Verzicht auf allzu scharfe Rhetorik, Lösungsvorschläge im Kleinen: Erlebbar ist das am Dienstag, als Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in München zu Gast ist. Söder schwärmt von Wien, adressiert dann die Ampel: Er fordert mehr Grenzschutz, keine Aufnahmen mehr aus Afghanistan, die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer.

Dann kommt er zu dem, was er auf Landesebene selbst ändern kann: Wer im Asylverfahren durchfällt oder straffällig wird, soll künftig Sachleistungen statt Geld bekommen; außerdem sollen Asylbewerber mit einer speziellen Prepaid-Karte bald nur noch bestimmte Waren einkaufen können. Das soll die Fluchtanreize senken. Für alles andere muss der Bund sorgen.

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