München – Plötzlich schrillen alle Sirenen, nur das Handy des Ministers bleibt stumm. Er schaut aufs Display, wartet. Nichts. „Der Alarm ist bei mir noch nicht angekommen“, sagt Karl Lauterbach dann, fast ein wenig enttäuscht, während die Damen und Herren um ihn herum hastig auf ihren Handys tippen.
Der bundesweite Warntag platzt zwar mitten hinein in die Pressekonferenz, aber das passt letztlich ganz gut zum Anlass. Es geht um Kinderarzneimittel, die seit Monaten knapp sind – vor allem im Winter führte das zu heiklen Engpässen bei Schmerzmitteln, Fiebersäften, Antibiotika. Immerhin: Der Alarm von damals hat Lauterbach offenbar erreicht. Im Herbst und Winter, sagt er, wolle man „alles tun, um sicherzustellen, dass Kinder die benötigten Arzneimittel bekommen“.
Wie genau das gehen soll, das war Thema eines Spitzentreffens, zu dem der SPD-Minister zuvor Vertreter von Ärzten, Apothekern und Pharmaunternehmen eingeladen hatte. Das Problem ist vielschichtig und nicht nebenbei zu lösen, im Kern geht es um die Abhängigkeit von außen: Viele Medikamente müssen importiert werden, Hersteller sitzen oft in China und Indien. Sind Arzneimittel knapp, verkaufen sie häufig lieber in andere Länder, weil die besser zahlen als Deutschland.
Daran hat sich zwar nichts geändert, ganz ausschließen will Lauterbach Lieferengpässe auch nicht. Dennoch stehe man weit besser da als im letzten Winter, sagt er. Das liege an den hiesigen Herstellern, die ihre Produktion drastisch gesteigert hätten, teils um 100 Prozent. „Wir sind an der technischen Obergrenze dessen, was leistbar ist“.
Neben Produktionssteigerungen sei mit Blick auf Herbst und Winter aber auch anderes wichtig: Lauterbach appelliert an die Eltern, keine Medikamente zu horten: Ein kleiner Hausvorrat – etwa eine Flasche Fiebersaft – sei gut, mehr nicht, weil das dann an anderer Stelle fehle. Den Apotheken will der Minister zudem mehr Freiheiten geben. Sie dürften vermehrt Produkte selbst herstellen, kleinere Verpackungen abgeben und selbstständig entscheiden, in welcher Form – etwa Tablette oder Saft – ein Medikament verabreicht wird. Bisher brauchte es bei Änderungen ein neues Rezept. Außerdem soll ein Gremium mit Vertretern von Ärzten, Apothekern und Industrie den Minister wöchentlich informieren.
Langfristig ist das keine Lösung, kurzfristig könnte es dabei helfen, Knappheiten wie im letzten Winter zu verhindern. Maximilian Lernbecher weiß von Fällen, in denen Eltern 100 Kilometer und mehr fuhren, um ein Antibiotikum für ihr Kind zu bekommen. Ein Ausnahmezustand.
Lernbecher ist stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbands und hat selbst eine Apotheke in Dachau. Arzneimittel seien nach wie vor knapp, sagt er. Ein Teil des Problems: „Wir können kaum mehr etwas auf Vorrat halten.“ Dennoch ist er zuversichtlich: Viele Kollegen seien darauf eingestellt, Medikamente selbst herzustellen, die Kommunikation mit (Kinder)ärzten laufe gut. „Wir haben gelernt, nach Mitteln und Wegen zu suchen“, sagt der Apotheker. „Wenn es ein Winter ohne große Infektionswellen wird, dann könnte es ein Happy End geben.“ Eltern müssten sich aber auch diesmal darauf einstellen, auf der Suche nach Arzneimitteln Apotheken abzutelefonieren.
Insgesamt werden die Berliner Maßnahmen in Bayern nicht viel ändern – denn was Lauterbach am Donnerstag ankündigt, gilt größtenteils im Freistaat schon jetzt. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte schon im November 2022 alle Akteure an einen Tisch geholt und eine „Task Force Arzneimittelversorgung“ eingesetzt. Lernbecher sieht dennoch einen Fortschritt: Apotheken sollen die Kosten für selbst angemischte – oft teurere – Medikamente künftig verbindlich erstattet bekommen. Bisher funktionierte das nur über Absprachen mit den Kassen.
Holetschek reagierte zurückhaltend auf die Ankündigungen aus Berlin. Das Treffen mit den Pharma-Akteuren sei überfällig gewesen, erklärte er. Die Maßnahmen selbst seien sinnvoll, wirkten aber nur kurzfristig. Langfristig, da ist man sich einig, braucht es wohl mehr inländische Produktion. Derzeit stemmten wenige Hersteller die Produktion von Kinderarzneien, meint Andreas Burkhardt, Vorstandschef des Verbands Pro Generika, beim Termin mit Lauterbach. „Am Grundproblem ändern sie nichts.“