München – Das Bürgergeld als Hängematte – oder als Nagelbrett? Viel zu hoch sei die Leistung, heißt es von Kritikern rechts der Ampel. Viel zu niedrig, schäumen manche Sozialverbände. Die Diskussion flammt gerade bundesweit voll auf, denn die nächste Erhöhung wurde soeben vom Bundeskabinett beschlossen. Rund zwölf Prozent mehr soll es ab Januar für die derzeit fünf Millionen Empfänger geben. Schon dieses Jahr hatte es ein ähnlich hohes Plus beim Bürgergeld gegeben.
Eigentlich ist das gar keine politische Entscheidung, die Erhöhung ist seit Ampel-Zeiten an die Inflation gekoppelt, wobei die Lebensmittelpreise überdurchschnittlich gewichtet sind. Hochpolitisch ist aber die Debatte über das „Lohnabstandsgebot“. Einfach gesagt: Wenn das Bürgergeld zu hoch ist, lohnt es sich nicht mehr zu arbeiten. „Wer den Eindruck bekommt, dass es keinen Unterschied macht, ob er mehr oder weniger arbeitet, wird sich weniger anstrengen“, sagte CDU-Chef Friedrich Merz unlängst. Aus der Union wurde bitter gespottet, das Bürgergeld (früher Hartz IV) werde zum „bedingungslosen Grundeinkommen“ umgebaut. Der zuständige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) beteuert, das Bürgergeld sichere nur das Existenzminimum ab, „nicht mehr und nicht weniger“.
Die Zahlen dazu sind kompliziert. Die Bürgergeld-Regelsätze sind klar. Allein lebende Erwachsene bekommen zum Jahreswechsel 563 Euro, ein Plus von 61 Euro. Für Jugendliche von 14 bis 17 Jahren soll der Regelsatz von 420 Euro auf 471 Euro steigen. Für Kinder im Alter zwischen dem siebten und 14. Lebensjahr steigt der Satz um 42 Euro auf 390 Euro, für jüngere Kinder um 39 Euro auf 357 Euro. Es kommen aber noch Einzelzuschüsse etwa für Schulbedarf sowie regelmäßig Heizkosten und Miete dazu – regional unterschiedlich. Kaum zu berechnen sind Vergünstigungen etwa bei Kita-Gebühren für Bürgergeldempfänger.
Um herauszufinden, ob sich dann das Arbeiten finanziell noch lohnt, kann man rechnerisch einen 38-Stunden-Job zum Mindestlohn gegenüberstellen. Allerdings kann es auch hier Wohngeld-Zuschüsse und aufstockendes Bürgergeld geben. Mit anderen Worten: ein Zahlensalat.
Ende 2022 hat sich das Institut für Weltwirtschaft (IfW) an eine Modellrechnung gewagt und versucht, so viele Faktoren wie möglich so präzise wie möglich einzubauen. 2023 hat es die Zahlen aktualisiert. Szenario: eine Familie mit zwei Teenagern, die auf 95 Quadratmetern in Hamburg lebt, also in der Nähe des Kieler Instituts, und normal hohe Heizkosten hat. Die Ergebnisse sind frappierend. Mit Bürgergeld erhält dieser Haushalt Leistungen im Wert von 2932 Euro. Wenn in dieser Familie ein Partner Vollzeit (gut 38 Stunden) für den Mindestlohn arbeitet, bleiben mit Kindergeld und Wohngeld nur 2878 Euro – also ein guter Fünfziger weniger.
Die IfW-Experten rechnen dann drauf, dass aufstockendes Bürgergeld und Kinderzuschlag beantragt werden können. Dies sei aber sehr komplex und werde oft nicht in Anspruch genommen. Am Ende stünden dann 378 Euro mehr als im Bürgergeld-Haushalt. Oder: 2,28 Euro mehr pro Stunde. „Insgesamt ist zu bezweifeln, dass das einen hinreichenden Anreiz zur Aufnahme einer Vollzeitstelle bietet“, kritisiert das Institut, zumal die Fahrtkosten zur Arbeit noch nicht eingerechnet sind. Ein kleiner Teilzeit-Job zum Bürgergeld, wenn überhaupt, klingt da lukrativer. In der Realität, so schildern es Praktiker, heißt die lohnendste Kalkulation oft: Stütze plus Schwarzarbeit. C. DEUTSCHLÄNDER