Es liegt Spannung in der Luft bei diesem Treffen und auf beiden Seiten großer Ernst. Ein knapper Händedruck, ein höflicher Gruß, kein lockerer Spruch: In München treffen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Oppositionsführer Ludwig Hartmann (Grüne) aufeinander. Unsere Zeitung hat das Duell der beiden Spitzenkandidaten organisiert. Erst geht es hoch aufs Dach, wo der Fotograf wartet. Für den schönen Ausblick – St. Peter, dahinter die fertig aufgebaute Wiesn – haben sie wenig Muße. Drei Wochen vor der Bayern-Wahl wollen sie Klartext reden über die zentralen Felder der Politik – und die emotionalsten Themen der letzten Tage. Söder und Hartmann, die sich nach einigen Jahren im Landtag zwar freundlich, aber nicht kumpelig duzen, verständigen sich auf ein Duell per Sie.
Herr Söder, Sie sitzen hier friedlich mit Ludwig Hartmann beisammen. Sie kennen sich, schätzen sich. Warum ist es so undenkbar, sich nach der Wahl zu Sondierungen zu treffen?
Söder: Schwarz-Grün hat keine Zukunft in Bayern. Die Grünen haben einfach kein Bayern-Gen. Vieles, was die Ampel in Berlin entscheidet, geht gegen Bayern, und die Grünen im Landtag machen aus Solidarität mit. Die Grünen haben eine grundlegend andere Philosophie als wir: Die Grünen wollen Umerziehung, Vorgaben und Verbote – das passt nicht zum bayerischen „Leben und leben lassen“.
Hartmann: Ich frage mich, wo Sie das hernehmen. Schwarz-Grün passt in vielem gut zusammen. Wir haben für Bayern ein Programm der Freiheiten: mehr Mobilität, weniger Bürokratie, mehr erneuerbare Energie. Vieles, was in Berlin entschieden wird, kommt gerade Bayern zugute. In solchen Situationen spricht Aiwanger light aus Ihnen. Ich freue mich über das 49-Euro-Ticket für alle, über mehr Mindestlohn und mehr Geld für unsere Kinder.
Sie haben also trotz der Absage noch Hoffnung?
Hartmann: Wir sind lange genug im Geschäft. Ich habe nach Wahlen schon viele Überraschungen erlebt, 2008 zum Beispiel, als die CSU Beckstein gestürzt und plötzlich Seehofer zum Ministerpräsidenten gemacht hat.
Moment – Sie rechnen damit, dass Söder nach der Wahl gestürzt wird?
Hartmann: Er hatte 2018 das zweitschlechteste CSU-Wahlergebnis der Geschichte, in Umfragen liegt er jetzt noch darunter. Ich lege dafür nicht die Hand ins Feuer, aber es kann durchaus sein, dass bürgerliche Kräfte in der CSU nach der Wahl erkennen, dass zuerst das Land kommt und erst dann die Partei. Söder: Und weil das Land zuerst kommt, sind die Grünen definitiv kein Partner. In Berlin haben sie nicht den Nachweis der Regierungsfähigkeit erbracht, sondern ziehen als dominante Kraft der Ampel Deutschland nach unten. Noch nie war eine Bundesregierung so unbeliebt bei den Menschen. Es ist Ihr Wunsch, dass Sie in Bayern gern regieren möchten. Aber die große Mehrheit der Bayern will das nicht. Es braucht eine bürgerliche Regierung mit einer starken CSU für ein starkes und stabiles Bayern. Ich schließe Schwarz-Grün definitiv aus.
Ach, macht’s Ihnen so viel mehr Spaß, mit Hubert Aiwanger zu regieren?
Söder: Wir regieren mit den Freien Wählern seit fünf Jahren erfolgreich. Koalitionen hängen nie nur an einer Person, sondern an der Partei. Hartmann: Das gilt dann ja auch für Schwarz-Grün. Wenn Sie das nicht wollen… Söder: Ich stehe für ein stabiles, starkes Bayern, in dem die Grünen sicher eine wichtige Rolle haben: weiter in der Opposition.
Zu Aiwanger: Glauben Sie persönlich, dass er das antisemitische Flugblatt nicht verfasst hat?
Hartmann: Ich tue mich schwer damit. Vor allem nach seinem Agieren und der schleppenden Aufklärung. Da sind viele Fragen offen. Sie hätten eine eidesstattliche Versicherung von ihm einfordern sollen. Es geht um das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, um den Konsens der Demokraten! Söder: Es geht nicht darum, was ich glaube, sondern um Beweise. Die liegen nicht vor. Ich habe eine faire Abwägung vorgenommen und nicht einfach nur auf Medienberichte reagiert. Angemessen gegenüber der Schwere des Vorwurfs, aber ohne Vorverurteilung oder Demütigung einer Person. Der überragend große Anteil der Bevölkerung findet das übrigens richtig. Hartmann: Die Vorwürfe und der Umgang damit sind für mich nicht „bürgerlich“. Die Söder-Aiwanger-Regierung hat keine bürgerliche Werteebene mehr.
Söder: Falsch. Aber mein gut gemeinter Rat an Hubert Aiwanger bleibt, Gespräche mit all denen zu führen, die sich durch diesen Vorfall verletzt fühlen.
Halten Sie Aiwanger denn für einen guten Wirtschaftsminister?
Söder: Wir arbeiten als Koalition sehr gut zusammen und wollen die bürgerliche Regierung fortsetzen.
Sie sagten neulich: Um Wirtschaft kümmere ich mich eh selbst.
Söder: Ein Ministerpräsident muss immer auch Ansprechpartner für die Wirtschaft sein. Es geht um Arbeitsplätze für Bayern. Es gelang mir unter anderem mitzuhelfen, dass Apple oder ZF Friedrichshafen nach Bayern kommt, MAN dableibt und Siemens, BMW oder Audi weitere Milliarden in Bayern investieren. Für das Handwerk habe ich die kostenlose Meisterprüfung und ein Bauprogramm auf den Weg gebracht.
Herr Hartmann, nirgendwo wird so viel Erneuerbare Energie zugebaut wie in Bayern – warum sind Sie trotzdem so unzufrieden?
Hartmann: Gemessen pro Quadratkilometer ist Bayern bei Erneuerbaren Energien auf Platz 9 bundesweit – alles andere als Spitze! Ich habe mir ja oft die Reden von Markus Söder angehört… Söder: Gut! Hartmann: …der in seiner Amtszeit 100, 300, 500 neue Windräder in Staatsforsten versprochen hat. Also auf Flächen, die der Freistaat schon besitzt und nicht erst erwerben muss. Wie viele Windräder sind wirklich gebaut worden? Ein einziges! Da gehen Ankündigung und Handeln meilenweit auseinander. Dieses Versagen schadet unserem Wirtschaftsstandort. Schade. Söder: Bayern liegt bei installierter Leistung auf Platz 1 in Deutschland – übrigens bestätigt das sogar Ihr Parteifreund Robert Habeck. Wir sind bei Photovoltaik, Wasserkraft und Biomasse überragend, haben bei Geothermie viel auf den Weg gebracht. Beim Wind haben wir mächtig aufgeholt, die 10H-Regel reformiert und öffnen den Wald für den Wind. Jetzt gibt es schon 500 Anfragen für neue Anlagen und zwei riesige Windparks sind in Planung. Wir powern und pushen, wo es geht. Hartmann: Wind- und Sonnenenergie müssen die großen Brocken der Energiewende leisten – weil Wind und Sonne unbegrenzt verfügbar sind. Dazu sollten wir in Bayern auch dringend mehr für Geothermie tun, gerade in Oberbayern. Warum machen Sie das nicht? Wir bräuchten mindestens 200 Erdwärme-Bohrungen des Freistaats mit den Kommunen. Im Haushalt ist viel zu wenig Geld dafür eingestellt. Söder: Ich nehme zur Kenntnis, dass die Grünen früher gegen Geothermie waren und jetzt das ganze Land aufbohren wollen. Hartmann: Das stimmt doch nicht. Sie wollen doch nur von der eigenen Schwäche ablenken.
War es ein Fehler, in Deutschland aus der Kernenergie auszusteigen?
Söder: Es ist ein schwerer Fehler, aus ideologischen Gründen in dieser geänderten Lage auszusteigen und dafür Atomstrom aus den Nachbarländern zu importieren und im Winter die Kohlekraftwerke wieder hochzufahren. Das macht Deutschland abhängig und geht zulasten des Klimaschutzes. Grüne Augen zu und durch – ein Riesenfehler der Ampel!