VON STEFAN SESSLER
Die Theresienwiese ist eine der sonderbarsten Flächen in dieser Republik. Ein Großteil des Jahres ist es eine kaum beachtete, fast 60 Fußballfelder große Asphaltwüste in Bestlage. Den wenigsten Münchnern würde auffallen, wenn die dortige U-Bahn-Station außerhalb der Wiesn-Zeit nicht angefahren würde. Die Theresienwiese ist keine verwunschene Schönheit wie der Englische Garten, sie hat keine großstädtische Eleganz wie der Odeonsplatz. Stattdessen ist sie eine Insel der ganz großen Möglichkeiten.
Viele suchen hier ab heute den Rausch, andere die große Liebe oder den Kick im Olympia-Looping. Mit kleinen Erwartungen kommt niemand her. Hier wird das Spiel des Lebens im Schnelldurchlauf gespielt. Das ist das Geheimnis. So ist dieses Fest zu einem milliardenschweren Wirtschaftsfaktor geworden, zu einer Weltberühmtheit.
Es ist einfach, über das Oktoberfest zu schimpfen. Wer fünf Mal ins Zelt geht, isst und trinkt, der kann davon zumindest außerhalb von München die erste Rate seiner Eigentumswohnung abbezahlen. Es ist an manchen Orten ein Fest der Argvielverdiener. Aber es ist vor allem ein Fleck Erde, an dem sich was rührt, an dem im Blitztempo gigantische Zelte aufgebaut werden und an dem man seine bestellte Mass in Rekordzeit in den Händen hält. Die Wiesn ist das Gegenteil einer Service-Wüste, hier herrscht kein Baustopp, kein Fachkräftemangel. Hier herrscht Euphorie. Ganz Deutschland könnte in diesen Tagen ruhig mehr Wiesn wagen. Die Hände zum Himmel. Das würde zwar nicht alle Probleme lösen, aber wenigstens ein paar.
Stefan.Sessler@ovb.net