Iran in Alarmbereitschaft

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Die Botschaft, die die iranischen Behörden aussenden, ist nicht misszuverstehen. Ende August zum Beispiel hat die Justiz den Sänger Mehdi Yarahi verhaften lassen. Sein Vergehen: Er hatte ein Lied mit dem Titel „Nimm dein Kopftuch ab“ vorgetragen. Das Werk trug ihm den Vorwurf der „Störung der öffentlichen Meinung“ ebenso ein wie den der Propaganda und des Verstoßes gegen die öffentlichen Sitten.

Yarahi ist kein Einzelfall. Am Dienstag veröffentlichte das nationale Justizportal Misan ein Video, in dem mehrere Männer gestanden, im Ausland Demonstrationen gegen das Mullah-Regime angeführt zu haben. Mehrere Internetseiten wurden gesperrt, ihre Betreiber verhaftet, die Geschwindigkeit insgesamt gedrosselt. Dass die Behörden gerade jetzt so rigide vorgehen, hat offenkundig damit zu tun, dass sich am Samstag der Tod von Mahsa Amini zum ersten Mal jährt. All der Schmerz der vergangenen Monate wird wieder hochkommen, die Menschen auf die Straßen treiben und auch auf die Barrikaden.

Die junge Kurdin war am 13. September 2022 von der berüchtigten Sittenpolizei des Landes festgenommen worden. Angeblich saß ihr Kopftuch nicht korrekt. Drei Tage später wurde sie in einem Teheraner Krankenhaus für tot erklärt. Beamte sollen sie zuvor brutal geschlagen haben, so berichtete es eine Frau, die ebenfalls festgenommen worden war.

Der Tod der 22-Jährigen löst eine Welle des Protestes aus, die zunächst vor allem junge Menschen und Studenten erfasst, bald aber weite Teile der Bevölkerung mitreißt. Der Ruf „Frau, Leben, Freiheit“ geht von Teheran aus um die Welt. „Kein Vorfall in der Geschichte der Islamischen Republik hat einen solchen Keil zwischen das System und das Volk getrieben“, sagt Fajjas Sahed, Professor für zeitgenössische Geschichte. Der Zorn der Massen richtet sich gegen alles: die vielen Repressalien, vor allem gegen Frauen, die desaströse Wirtschafts- und Sozialpolitik, die Korruption, die gesamte Legitimation des Regimes.

Nur mit äußerster Brutalität können die Mullahs die Proteste eindämmen. Bei einem einzigen Polizeieinsatz, zwei Wochen nach dem Tod Aminis, sterben in der Provinz Sistan und Belutschistan mehr als 120 Zivilisten. Zigtausende sind bis heute verhaftet worden, im Dezember wurden die ersten Todesurteile vollstreckt. An Mädchenschulen im ganzen Land gibt es zudem mysteriöse Vergiftungsfälle. All das soll vor allem einem Ziel dienen: der Einschüchterung.

Auch vor dem Jahrestag richtet Staatspräsident Ebrahim Raisi deutliche Worte ans Volk. „Diejenigen, die vorhaben, Mahsa Aminis Namen zu missbrauchen, ein Agent von Ausländern zu sein, Instabilität im Land zu schaffen – wir wissen, was mit ihnen geschehen wird.“ Der Sicherheitsapparat werde etwaige Protestaktionen „wachsam beobachten“, hatte zuvor schon der Vize-Justizchef Sadek Rahimi geraunt.

Tatsächlich hat die Vehemenz der Proteste im Laufe der Monate nachgelassen. Beendet allerdings, wie es das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, schon im Februar verkündete, sind sie keineswegs. Sie äußern sich nur anders. Als Zeichen des stillen Protests ignorieren viele Iranerinnen in den Metropolen bis heute die Kopftuchpflicht.

Der zivile Ungehorsam zielt auf eine der ideologischen Säulen der Islamischen Republik. Die Regierung reagierte mit einem neuen Kopftuchgesetz, das drakonische Strafen vorsieht, doch die Wirkung ist gering, weil eine landesweite Kontrolle kaum möglich ist. Früher habe sich ein Großteil der Gesellschaft auch angesichts der sozialen Kontrolle an die Kleidungsregeln gehalten, sagt Tareq Sydiq, Protestforscher an der Uni Marburg. „Diese Norm ist komplett gebrochen. Und es ist sehr schwer, diese Angst wiederherzustellen.“  mit dpa

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