Ein Fernduell im UN-Sicherheitsrat

von Redaktion

VON BENNO SCHWINGHAMMER

New York – Es ist ein Moment kurz nach Beginn, der von dieser Sitzung des UN-Sicherheitsrats bleiben wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat gerade Platz genommen, es redet der albanische Ministerpräsident Edi Rama. Als Vorsitzender des Rates soll er das Treffen leiten, doch die Forderung des russischen Botschafters, Selenskyj solle nicht als erster Landesvertreter sprechen dürfen, provoziert zunächst einen äußerst undiplomatischen Schlagabtausch.

Schließlich schlägt Rama dem Russen vor: „Sie stoppen den Krieg und Präsident Selenskyj wird nicht das Wort ergreifen.“ Keine Überraschung: Moskaus Vertreter Wassili Nebensja geht darauf nicht ein. Selenskyj darf sprechen – zu einer direkten Konfrontation mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow kommt es bei dem mit Spannung erwarteten Treffen am Rande der UN-Generaldebatte jedoch nicht.

Die Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums bot die einzige Plattform, bei der Selenskyj erstmals seit Kriegsbeginn einem führenden Regierungsvertreter Russlands entgegentreten könnte. Es ist 11:10 Uhr Ortszeit, als der 45-Jährige sich an den runden Tisch des mächtigsten UN-Gremiums setzt. Bekleidet mit einem militärisch anmutenden olivgrünen Hemd trägt Selenskyj einen Hauch von Kriegsatmosphäre aus seinem Land in den Sicherheitsrat.

Hier geht es darum, die Länder zu überzeugen, die trotz generellen Verständnisses für die Ukraine zunehmend skeptisch sind angesichts des nicht enden wollenden Krieges. Vor allem Entwicklungsländer beklagen immer lauter, dass der Krieg in der Ukraine den Fokus von ihren Problemen und Erwartungen ablenkt. Selenskyj will sie auf seine Seite ziehen – spricht gemäßigt, nicht mit aggressiver Kriegsrhetorik: „Ich wäre heute nicht hier, wenn die Ukraine keine konkreten Lösungsvorschläge hätte.“

Selenskyj schlägt eine Reform vor. Eine Vergrößerung des Sicherheitsrates sei notwendig – auch Deutschland brauche einen Sitz. Er beklagt die Machtlosigkeit der Vereinten Nationen. Diese reagierten auf Probleme mit „Rhetorik“ anstatt mit „echten Lösungen“. Selenskyj macht Russland für die Blockade des für Friedenssicherung und Konfliktlösung zuständigen Rates verantwortlich. „Das Veto-Recht in der Hand des Aggressors ist, was die UN in die Sackgasse geführt hat.“

Selenskyj erinnerte damit an eines der dramatischsten Treffen des Gremiums in seiner jüngeren Geschichte: Es war in der Nacht zum 24. Februar 2022. Der sonst so nüchtern wirkende UN-Generalsekretär António Guterres richtete damals seinen Blick in die Kamera: „Präsident Putin, halten Sie Ihre Truppen davon ab, die Ukraine anzugreifen, geben Sie dem Frieden eine Chance.“ Es dauerte nur 30 Minuten, bis ein Mitarbeiter noch während der Sitzung in sein Ohr flüsterte, der Mann im Kreml habe den Befehl zum Sturm erteilt.

Eine Stunde, nachdem der Selenskyj schnellen Schrittes und umringt von seiner Entourage den Raum verlässt, bewegen sich die hellen Holztüren. Der russische Außenminister Lawrow setzt sich auf den blauen Stuhl seiner Delegation und beginnt mit einer länglichen und schwer zu verfolgenden geschichtlichen Abhandlung, in der er vor allem dem Westen schwere Vorwürfe macht und eine Mitschuld am Konflikt gibt.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht im UN-Sicherheitsrat. „Nichts tönt heute lauter als Russlands Schweigen als Reaktion auf diesen globalen Friedensappell“, sagt Scholz. „Zehntausende Soldatinnen und Soldaten sowie ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten sind getötet worden. Unzählige ukrainische Kinder sind entführt worden. Russische Truppen haben gemordet, vergewaltigt und gefoltert. Sie machen Städte und Dörfer dem Erdboden gleich.“ Die Folgen des Krieges seien zudem „überall auf der Welt zu spüren“, sagt Scholz. Unterdessen gehen in der Ukraine die Kämpfe mit unverminderter Härte weiter.

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