Regiert im Osten bald die AfD?

von Redaktion

VON JÖRG RATZSCH

Berlin – Es ist erst ein paar Wochen her, da versuchte sich Katrin Göring-Eckardt als Psychologin. Viele Ostdeutsche seien in der „Diktaturverherrlichung hängen geblieben“, sagte die Vizepräsidentin des Bundestags in einem Interview. Vielleicht „weil dort jemand anderes für sie alles lösen musste“. Die 57-Jährige stammt selbst aus Thüringen. Zum Teil wollen die Menschen dort „einfach eine starke Führungsperson. Die sagt, wo es hingeht, und wohinter man sich einsortieren kann.“

Seit Göring-Eckardts Interview sind die Umfragewerte der AfD im Osten noch mal deutlich angestiegen. Heute in einem Jahr wird in Brandenburg gewählt. Bereits am 1. September 2024 in Sachsen und Thüringen. In allen drei Ländern lag die AfD zuletzt mit mehr als 30 Prozent vorn. Doch was passiert, wenn die vom Inlandsgeheimdienst als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei wirklich zum ersten Mal Landtagswahlen gewinnt?

Man habe eine „reelle Chance“, im Osten Deutschlands „eine Landesregierung mitzustellen“ und „ans Ruder“ zu kommen, sagt AfD-Chefin Alice Weidel. Der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter sieht das anders. Für eine Regierungsmehrheit bräuchte Weidels Partei eine andere als Partner. Das schließt Falter aus: „Nach heutigem Stand und auf absehbare Zeit wird die AfD in keine Koalition in einem der drei Bundesländer aufgenommen werden. Das kann und will sich keine der anderen Parteien leisten.“

Falter rechnet auch nicht damit, dass die AfD bei den drei Landtagswahlen nächstes Jahr so viele Stimmen bekommt, wie die Umfragen heute suggerieren. Unter den Befragten gingen etliche wohl gar nicht zur Wahl oder machten nur ihrem augenblicklichen Unmut Luft.

Doch es gibt auch andere Szenarien. „Unter Extrembedingungen kann es durchaus zu einer Regierungsbeteiligung der AfD kommen“, sagt der Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal. Sollten gleich mehrere Parteien wie Grüne, FDP und SPD an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern (in Umfragen in Sachsen liegen sie momentan bei fünf bis sieben Prozent) und gleichzeitig CDU (zuletzt 29) und Linke (9) zusammen weniger Sitze erringen als die AfD (35), dann könnten sie im Landtag die Wahl eines AfD-Ministerpräsidenten nicht verhindern.

Wagschal verweist auf die Landesverfassungen: Wenn ein vorgeschlagener Kandidat für das Amt keine absolute Mehrheit erreicht, kann der Regierungschef in folgenden Wahlgängen auch mit einfacher Mehrheit gewählt werden: Wer die meisten Stimmen bekommt, ist dann Ministerpräsident. So wäre theoretisch in solch einem „absoluten Extremfall“, wie Wagschal es nennt, eine AfD-Minderheitsregierung möglich. Diese müsste sich aber für Gesetze immer wieder Mehrheiten suchen.

Möglich ist auch die umgekehrte Version: Kommen andere Parteien gemeinsam auf mehr Sitze als die AfD und tun sich zusammen, könnten auch sie ohne eine absolute Mehrheit eine Minderheitsregierung bilden. Aber es wird zunehmend schwieriger. Da die CDU die Linke als Koalitionspartner ausschließt, kann eine Koalition nur aus den vier Parteien CDU, SPD, Grüne und FDP gebildet werden. Stand heute zumindest.

Längst laufen aber Debatten, ob man die Strategie auch gegenüber der AfD ändern muss. Andreas Rödder, Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission, zeigt sich offen für CDU-Minderheitsregierungen im Osten, selbst wenn sie hin und wieder von der AfD unterstützt würden – die dann zumindest indirekt mitregieren würde. CDU-Spitzenpolitiker wiesen die Idee umgehend zurück. Der Historiker Rödder sagte dagegen dem „Stern“: „Problematisch wäre es erst, wenn sich die CDU offiziell von der AfD tolerieren ließe und dafür Absprachen eingehen würde. Das wäre eine rote Linie.“

Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Sahra Wagenknecht könnte noch alles durcheinanderwirbeln. Sollte die prominente Linke-Politikerin eine neue Partei gründen – die Entscheidung fällt bis Jahresende –, dürfte das die AfD viele Stimmen kosten.

Ein Jahr mag schnell vorüber sein. Aber es kann auch noch viel passieren.

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