Asyl: Europa schimpft über Ampel

von Redaktion

VON ANSGAR HAASE

Brüssel – Die Bundesregierung gerät wegen ihrer Ablehnung von Vorschlägen zur geplanten Reform des EU-Asylsystems zunehmend unter Druck europäischer Partner. Berlin sei maßgeblich dafür verantwortlich, dass Verhandlungen mit dem Parlament blockiert seien, sagten mehrere Diplomaten und EU-Beamte der Deutschen Presse-Agentur vor einem Innenministertreffen am Donnerstag. Um die Asylreform noch vor der Europawahl zu beschließen, müsse die Ampel-Regierung dem Vorschlag für die „Krisenverordnung“ zustimmen. Unter Druck geraten damit vor allem die Grünen.

Konkret geht es darum, dass SPD, Grüne und FDP im Juli einen Vorschlag der spanischen EU-Ratspräsidentschaft für die Krisenverordnung nicht unterstützten. Die EU-Staaten konnten sich deshalb nicht für Verhandlungen mit dem Europaparlament positionieren. Berlin begründete das damit, dass EU-Staaten über die Verordnung bei einem starken Zustrom von Migranten die Möglichkeit bekämen, die Schutzstandards in inakzeptabler Weise abzusenken.

So soll in Krisensituationen etwa der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden dürfen. Zudem könnten mehr Menschen für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommen.

Aus Ärger über den Stillstand kündigte das EU-Parlament an, andere Teile der Verhandlungen über die geplante Asylreform bis auf Weiteres zu blockieren. Damit könnte das ganze Projekt infrage gestellt werden, was ein gewaltiger Rückschlag wäre. Die Reform soll dazu beitragen, die illegale Migration zu begrenzen, und dürfte deswegen bei Wahlen in den Mitgliedstaaten und bei der Europawahl 2024 eine Rolle spielen.

Eine schnelle Einigung ist aber nicht in Sicht. Ein Diplomat sagte, südliche EU-Staaten hätten andere Teile der geplanten Reform nur akzeptiert, weil sie sich sicher gewesen seien, im Gegenzug in Krisensituationen mehr Flexibilität zu bekommen. Nun könne das ganze Paket platzen.

Zu diesem gehört neben den Regeln für Krisensituationen, dass Erstaufnahmestaaten Asylanträge von Migranten aus Ländern mit einer Anerkennungsquote von weniger als 20 Prozent künftig binnen zwölf Wochen prüfen sollen. Schutzsuchende sollen in dieser Zeit in streng kontrollierten Aufnahmeeinrichtungen bleiben. Wer keine Chance auf Asyl hat, soll sofort zurückgeschickt werden.

Unverständnis über die deutsche Position gibt es besonders, weil die Standardregeln dem Vorschlag zufolge nicht automatisch, sondern erst nach Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten und unter strenger Aufsicht der EU-Kommission aufgeweicht werden dürften. Es blieben also auch in einer Krisensituation etliche Möglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.

Mit Spannung wird nun erwartet, ob der Unmut über die Bundesregierung beim Innenministertreffen auch vor laufenden Kameras geäußert wird und ob dies dann zu neuen Diskussionen in der Koalition führt. Dagegen spricht, dass die Grünen schon mit den im Juni vereinbarten Plänen für eine Verschärfung regulärer Asylverfahren Kröten schlucken mussten.

Der CSU-Europapolitiker und Chef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, übte zuletzt scharfe Kritik. „Ich frage mich, ob die Bundesregierung den Ernst der Lage erkannt hat und die EU-Asylreform wirklich will“, sagte er kürzlich dem Berliner „Tagesspiegel“.

Parallel zum Streit um die Krisenverordnung übt die Regierung in Rom scharfe Kritik an Berlin. Der Bundestag hatte den im Mittelmeer tätigen Seenotrettern der Organisation „SOS Humanity“ zuletzt 790 000 Euro gewährt, was in Italien für Erstaunen sorgt. Außenminister Antonio Tajani nannte es „ein wenig seltsam, dass die Bundesregierung eine in Italien tätige deutsche Nichtregierungsorganisation unterstützt“, und fragte, ob Berlin wolle, dass „alle Migranten in Italien anlanden“. Er wolle darüber mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprechen. Verteidigungsminister Guido Crosetto hatte zuvor schon von einem „sehr schwerwiegenden“ Vorgang gesprochen.

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