Berlin/München – Der einzige Star der Ampel ist in diesen Tagen weit weg. Und ziemlich weit oben. Boris Pistorius erklimmt den Petri-Turm in Riga. In 72 Meter Höhe bietet sich ein dermaßen atemberaubender Blick über die Dächer der lettischen Hauptstadt, dass der Verteidigungsminister sein Handy zückt und wie ein Tourist Fotos knipst. Es ist nur eine kleine Etappe seiner Reise ins Baltikum, aber das Bild passt: Er oben, die anderen unten.
So ist es ja auch in den Umfragen zur Halbzeit der Ampel. Während Pistorius auf dem Turm steht, kommen in Berlin die Daten einer aktuellen Insa-Analyse raus, welcher Politiker wie beliebt ist. Der SPD-Politiker ist an der Spitze gelandet, unter ihm kommt lange keiner. Nun sollte man nicht jedes Umfrage-Pünktchen überbewerten, zudem ist Politik auch nicht nur ein Beliebtsheits-Spielchen – auffällig sind diese für „Bild“ erhobenen Werte allerdings schon, und sie decken sich mit anderen Umfragen.
Nur knapp schafft es Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter die zehn Beliebtesten, er landet hinter drei CDU-Politikern und klar hinter CSU-Chef Markus Söder. Die anderen führenden Koalitionäre finden sich erst in der zweiten Hälfte: FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner, Vizekanzler Robert Habeck und seine grüne Kollegin Annalena Baerbock, die – für Außenminister untypisch – eher unbeliebt ist. Das ist neu, denn vor einem Dreivierteljahr stand sie noch strahlend auf Platz 2, Habeck auf der 5.
Die Werte sind Ausfluss des allgemeinen Grolls über die Ampel; Pistorius hat da den Vorteil, erst spät eingestiegen zu sein. Fachlich ist er von den größten Minus-Themen Heiz-Streit und Flüchtlingspolitik weit genug weg. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht: Sie wird jetzt als zweitunbeliebteste Politikerin, knapp vor einem AfD-Chef, in der Liste geführt.
Auch die Sonntagsfrage ist zur Halbzeit der Legislaturperiode bitter für SPD (17,5), Grüne (13,5) und FDP (6,5). Für sie würde dieser Tiefpunkt nicht mehr zum Regieren reichen, es gibt keine Konstellation ohne Union (27). AfD (21,5) und Linke (5) decken die Ränder ab, die Freien Wähler (3) wären draußen. Zwar kommen fast täglich neue Umfragen, morgen wird der ARD-Deutschlandtrend erwartet, die Richtung ist aber ähnlich.
„Das Vertrauen ist dahin“, schreibt die bekannte Demoskopin Renate Köcher in der „FAZ“. Ihr Allensbach-Institut misst regelmäßig detailliert die Stimmung im Land. Ausschnitt aus dem trüben Ampel-Zwischenzeugnis: Nur 30 Prozent trauen der Koalition noch den Willen zur Erneuerung zu. 69 Prozent sehen Entscheidungsschwäche. Spannend ist auch die Verteilung im Bündnis. Für die prägende Kraft in der Koalition (nicht unbedingt ein Kompliment) halten 40 Prozent die Grünen, 17 Prozent die FDP, 15 Prozent die Kanzlerpartei SPD. Allerdings ist auch das keine Liebeserklärung an die Opposition. Nur jeder Vierte glaubt, dass eine andere Regierung die Herausforderungen besser bewältigen würde.
Freilich, es gibt Lichtblicke – und da zeigen sich gleichzeitig die Grenzen der Demoskopie. Die Bürger finden nicht ganz überraschend all jenes gut, wo sie entlastet und monetär gefördert werden. Die Erhöhung des Mindestlohns, die Gas- und Strompreisbremse, das 49-Euro-Ticket und das höhere Kindergeld finden 64 bis 90 Prozent prima. Dafür gibt es breite Mehrheiten gegen das Verbot neuer Öl- und Gasheizungen, den Atomausstieg, die Legalisierung von Cannabis und das schnelle Einbürgern von Zuwanderern. Gleichzeitig fürchtet fast jeder Dritte persönlich einen wirtschaftlichen Abstieg.
„Die Bevölkerung hat auch das Vertrauen in das Land verloren“, urteilt Köcher. Viele glaubten nicht, „dass Deutschland die Kraft und den Willen hat, seine starke Position zu verteidigen“. In Zahlen: 55 Prozent haben den Eindruck, dass die Politik den Standort schwäche. Insgesamt glauben nur noch 41 Prozent, dass Deutschland für Unternehmen attraktiv ist. Köcher warnt, dieser Wert sei „geradezu erdrutschartig eingebrochen“.