„Die Lösungen der AfD sind nur Bluff“

von Redaktion

München – Der Extremismus-Forscher Peter R. Neumann lehrt am Londoner King’s College und beriet den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet 2021 in Sicherheitsfragen. Sein neues Buch „Logik der Angst“ dreht sich um die Gefahr von rechts. Im Interview erklärt der 48-Jährige, was Populisten und Extremisten stark macht – und was dagegen helfen könnte.

Herr Neumann, Europas Rechtsaußenparteien haben Zulauf, während die liberale Demokratie schwächelt. Woran liegt das?

An den großen Veränderungen wie Globalisierung oder Künstliche Intelligenz und an den vielen Krisen, die hinzugekommen sind: Migration, Corona, Ukraine, Klima, Energie, Inflation. Das hat viele überfordert und verängstigt – zugleich hatten sie nicht das Gefühl, dass die Parteien der Mitte damit gut fertigwerden. Rechtsextremisten und -populisten haben leichtes Spiel: Sie verstärken diese Ängste, weil die ihr Nährboden sind.

Wie aktuell in der Migrationskrise… Wäre die AfD schwächer, wenn die Ampel das Thema früh zur Chefsache gemacht hätte?

Absolut. Alle demokratischen Parteien haben das Problem zu lange ignoriert. Aber in der Wahrnehmung vieler Bürger drängt es und da neigen sie eben der einzigen Partei zu, die darüber spricht. Dass die angeblichen Lösungen der AfD nichts sind als ein großer Bluff, ist dabei zweitrangig.

Die AfD ist so stark wie nie zuvor, immer weniger Deutsche schließen aus, sie zu wählen. Verschiebt sich da gerade der Zeitgeist?

Es gibt jedenfalls eine besorgniserregende Dynamik. Eigentlich haben alle Parteien einen Anreiz, in die Mitte zu gehen, weil dort die meisten Wähler sind. Im Falle der AfD ist es genau umgekehrt: Je extremer sie wird, desto mehr Wähler bekommt sie, vor allem im Osten. Sie hat also keinen Anreiz, sich zu mäßigen.

Ist es allein Aufgabe der Union, die Radikalen wieder einzufangen?

Studien zeigen, dass mindestens die Hälfte der AfD-Wähler kein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben – man kann sie also zurückgewinnen. Ein Drittel der AfD-Wähler wählte zuvor gar nicht, ein Drittel wählte die Union und das dritte Drittel kommt von den Ampel-Parteien, vor allem von der FDP. Das heißt: Alle müssen sich kümmern, das ist sicher nicht allein Aufgabe der Union.

Aus der CDU kamen zuletzt eigenartige Signale, etwa der Vorschlag, eine Minderheitsregierung von der AfD tolerieren zu lassen. Sie sind CDU-Mitglied. Sehen Sie Ihre Partei auf gefährlichem Weg?

Was ich leider sehe, ist eine Spaltung in Ost- und West-CDU. Im Westen steht die Brandmauer, in den östlichen Landesverbänden sieht man leider deutliche Risse. Ich meine: Jeder Vorteil, den man gewinnt, indem man gemeinsam mit der AfD Gesetze beschließt, braucht sich dadurch auf, dass die CDU bundesweit an Ansehen verliert.

Sie sagen in ihrem Buch, sobald Rechtspopulisten regierten, seien sie von der Komplexität der Probleme heillos überfordert…

Genau, schauen Sie nach Österreich. Die FPÖ hat von 2017 bis 2019 mitregiert und nichts, überhaupt nichts zustande gebracht, obwohl sie alle wichtigen Schaltstellen für das Migrationsproblem innehatte. Sie war überfordert, nicht vorbereitet und ihre Lösungen waren nicht durchsetzbar. Trotzdem steht sie jetzt wieder bei 30 Prozent. Rechtsparteien durch Regierungsbeteiligung entzaubern zu wollen, halte ich für sehr gefährlich.

Was also tun?

Man sollte sich weniger mit diesen Parteien als vielmehr mit deren Wählern beschäftigen. Würden sich die Demokraten zusammentun und etwa bei der Migration zu einer Lösung kommen, würde das die AfD massiv Stimmen kosten. Deshalb finde ich es richtig, dass der CDU-Chef der Ampel Hilfe angeboten hat, um eine Lösung anzubieten.

Hilfe ist gut. Er hat Scholz angeboten, die Grünen rauszuwerfen…

Ich glaube, bei den Grünen bewegt sich gerade viel. Meine Prognose: Nach den Wahlen in Bayern und Hessen wird es einen Kompromiss aller demokratischen Parteien geben.

Zurück zur Überforderung regierender Populisten. In Italien bemüht sich Giorgia Meloni gerade, das Gegenteil zu beweisen…

Das Besondere an Meloni ist, dass sie einen Plan und eine Strategie hat. Was sie und viele Rechtspopulisten in Europa anstreben, ist eine Form illiberaler Demokratie wie in Ungarn, wo es zwar noch ein Parlament, eine Opposition und Wahlen gibt, aber Kontrollinstanzen wie Gerichte und Medien ausgehöhlt sind. Meloni zeigt sich in der EU als verlässliche Partnerin, sodass sie Vertrauen und Zeit gewinnt. Im Land aber baut sie Strukturen um. Sie ist derzeit die cleverste Rechtspopulistin Europas, aber vielleicht auch die gefährlichste. Denn ob das, was sie im Sinn hat, noch Demokratie ist, muss man bezweifeln.

Interview: Marcus Mäckler

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