Deutschland löst die Asyl-Blockade

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN

München/Brüssel – Nancy Faeser ist nicht ganz zufrieden. Man habe eigentlich „noch weiteren Änderungsbedarf“, sagt die Innenministerin in Brüssel. Trotzdem werden „wir heute unserer Verantwortung gerecht“. Nach stundenlangen Gesprächen habe sie sich mit ihren 27 Amtskollegen auf die neue EU-Asylreform geeinigt. Faeser spricht von einem Kompromiss, und stiftet Verwirrung. Denn der spanische Vorsitz des EU-Innenministerrats äußert sich zurückhaltender: Man sei sehr nahe an einer Einigung, Details seien aber noch offen. Hintergrund: Italien will mehr Zeit zur Bewertung – dahinter steht wohl auch ein Manöver im Streit um die Seenotrettung (siehe unten).

Dennoch scheint die dickste Kuh nun vom Eis zu sein. Wochenlang hat sich Deutschland gegen den letzten Baustein der geplanten Reform gewehrt, die unerwünschte Migration begrenzen soll. Konkret geht es um die Krisenverordnung: Sie soll bei einer besonders hohen Ankunftszahl von Migranten greifen. Sie sieht vor, dass Menschen länger unter haftähnlichen Bedingungen in Lagern an Europas Außengrenzen festgehalten werden können. Bis zu 40 Wochen sollten Flüchtlinge ausharren. Außerdem sollen deutlich mehr Ankommende – also auch jene aus Ländern mit einer guten Anerkennungschance – strengere Verfahren durchlaufen. Vor allem die Grünen stellten sich gegen die Verordnung.

Erst am Tag vor dem EU-Innenminister-Treffen sprach der Kanzler dann ein Machtwort: Berlin werde die Krisenverordnung in Brüssel „nicht aufhalten“, sagte Olaf Scholz (SPD). Er hatte Faeser als Mittelsfrau angewiesen, den EU-Asylkompromiss bei den Verhandlungen in Brüssel nicht länger zu blockieren.

Das war vor allem für Annalena Baerbock eine Niederlage. Die grüne Bundesaußenministerin hatte sich immer wieder gegen die Krisenverordnung ausgesprochen. „Statt geordneter Verfahren würde insbesondere das große Ermessen, dass die aktuelle Krisenverordnung für den Krisenfall einräumt, de facto wieder Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland setzen“, sagte sie. „Das kann die Bundesregierung nicht verantworten.“

Die Haltung der Grünen sorgte für Streit in der Ampel – vor allem mit der FDP. Deutschland dürfe einen „verantwortungsvollen Kompromiss“ nicht blockieren, sagte Parteichef Christian Lindner. Die gesamte Reform hätte auf dem Spiel gestanden, wenn Berlin der Krisenverordnung nicht zugestimmt hätte. Das EU-Parlament hatte bereits zwei Gesetzesvorhaben ausgesetzt, weil sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten. Viele EU-Länder sehen die Krisenverordnung als eine Frage der Solidarität.

Im Vorfeld hatte Faeser erklärt, es sei wichtig für die Bundesregierung, dass ein Mitgliedsland im Krisenfall „nicht leichtfertig in Anspruch nimmt, dann Standards abzusenken“. Hohe Asylnormen müssten auch dann gelten, wenn Drittländer Flüchtlinge gezielt in die EU weiterleiteten, wie es zuletzt der russische Verbündete Belarus getan hatte.

Faeser hatte in Brüssel versucht, in Absprache mit den Grünen auf einigen Bedingungen zu bestehen. Am Ende gab es laut der Innenministerin „keine Mehrheit“ für die Forderung der Grünen nach einem besseren Schutz von Familien mit Kindern. Auch sie sollen zukünftig die umstrittenen Außengrenzverfahren durchlaufen – ihre Anträge sollen aber immerhin bevorzugt geprüft werden.

Die Zeit für die Asylreform drängt: Sie soll bis zur Europawahl im Juni 2024 stehen. Dafür müssen sich die EU-Länder noch auf ein gemeinsames Gesetzespaket einigen.

Kritik am gesamten Vorhaben übte Ungarns Regierungschef Viktor Orban: „Brüssel will uns den gescheiterten Migrationspakt vor den kommenden Europawahlen in den Rachen schieben.“ Ungarn hatte mit Polen, Österreich und weiteren Ländern gegen den Krisenmechanismus gestimmt, allerdings aus einem anderen Grund als Deutschland: Sie fordern noch härtere Sonderregeln. mit afp/dpa

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