München – Für seine Verhältnisse ist Olaf Scholz gerade ungewohnt laut. Vor wenigen Tagen hat er im Streit um die Asyl-Krisenverordnung ein Machtwort gesprochen, bei dem er die Grünen in die Schranken wies. Nun erklärt der Kanzler die gesamte Migrationspolitik zur Chefsache. „Es kann ja nicht bleiben wie bisher“, sagt er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Mehr als 70 Prozent aller Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind vorher nicht registriert worden, obwohl sie nahezu alle in einem anderen EU-Land gewesen sind.“
Die Zahl der ankommenden Migranten sei zu hoch, klagt der SPD-Kanzler. Deutschland würde deshalb den Schutz der europäischen Außengrenzen unterstützen. Aber auch an den Grenzen zu Deutschlands Nachbarländern müssten Maßnahmen verschärft werden. An der Grenze zu Österreich werde man die Kontrollen ausweiten, kündigte Scholz an. Mit der Schweiz und Tschechien habe man bereits gemeinsame Kontrollen vereinbart. Moldau und Georgien, die beide eine EU-Mitgliedschaft anstreben, würden zu sicheren Herkunftsländern ernannt. Abgelehnte Asylsuchende müssten Deutschland zügig verlassen. Und er forderte Polens Regierung auf, keine weiteren Visa an Migranten zu verkaufen – um sie dann nach Deutschland durchzuwinken. „Deshalb haben wir die Kontrollen an der Grenze zu Polen verschärft.“
Der Kanzler, dem immer seine Art der Nichtkommunikation vorgeworfen wird, bricht nun offenbar sein Schweigen. Womöglich, weil er den Ernst der Debatte um illegale Migration erkannt hat. Womöglich haben ihn auch seine schlechten Umfragewerte aus der Deckung geholt: Noch vor einigen Wochen hielt die Mehrheit der Deutschen Scholz für führungsschwach – laut dem ZDF-Politbarometer sagten 73 Prozent der Befragten, dass sich der Kanzler in politischen Fragen eher nicht durchsetze.
Die Halbzeitbilanz seiner Kanzlerschaft markiert ein massives Imageproblem. Wenig hilfreich sind da die Angebote aus der Opposition. CDU-Chef Friedrich Merz hat Scholz vorgeschlagen, gemeinsam nach Lösungen in der Migrationspolitik zu suchen. Er und Scholz könnten am Tag nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern am kommenden Wochenende zusammenkommen. Was klingt, als würde Merz dem Kanzler in schwierigen Zeiten die Hand reichen, beinhaltet scharfe Kritik: Der von Scholz angekündigte „Deutschlandpakt“ sei ein PR-Gag. Es sei jetzt „wirklich Zeit, dass wir uns zusammensetzen“, sagte Merz.
Der Kanzler ging bislang nicht auf das Angebot ein – stattdessen rügte er Merz für seine Aussage, Asylbewerber könnten sich in Deutschland die „Zähne neu machen“ lassen (siehe Text unten). „Was Herr Merz vorgetragen hat, entspricht nicht der rechtlichen Lage in Deutschland. Ich finde, dass man besser auf seine Worte aufpassen sollte“, sagte Scholz.
Scholz stellte unterdessen Ländern und Kommunen „ein dauerhaftes System“ zur Finanzierung der Flüchtlingskosten in Aussicht. Er betonte, er strebe im November eine Einigung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer an. „Noch als Bundesfinanzminister hatte ich den Ländern eine Lösung vorgeschlagen, die sich an den tatsächlichen Zugangszahlen orientiert – eine Art atmenden Deckel.“ Zuletzt hatten die Bundesländer eine solche Pro-Kopf-Regelung vom Bund eingefordert, in den Gesprächen der vergangenen Woche gab es aber insbesondere bei der Höhe der Unterstützung vom Bund noch keine Einigung. mit dpa/afp