München – Der Ministerpräsident stürzte letztlich über Oberbayern. 39,3 Prozent verbuchte hier die CSU 2008 – das bedeutete für den Franken Günther Beckstein 20,9 Prozentpunkte weniger als fünf Jahre zuvor unter Edmund Stoiber. Ein Erdrutsch. Kurz darauf war die kurze Amtszeit Becksteins vorbei. 25 Jahre später würde man diese 39,3 Prozent in der CSU mit Handkuss nehmen. Doch für Markus Söder, wieder ein Franke, dürfte Becksteins Marke unerreichbar bleiben.
Klar: Die Situation ist nur noch bedingt vergleichbar. Denn der Aufstieg Hubert Aiwangers und das Auftauchen der AfD hat die Voraussetzungen in Ober- und vor allem in Niederbayern durcheinander gewirbelt. Altbayern ist nicht mehr die Hochburg der CSU. Söder weiß das natürlich, es treibt ihn seit Jahren um. In Oberbayern soll ihm die beliebte Landtagspräsidentin Ilse Aigner Stimmen bringen. Für Niederbayern installierte er Christian Bernreiter. Erst als Verkehrsminister, dann als niederbayerischen CSU-Bezirksvorsitzenden. Zuvor hatte sich der 59-Jährige als Landrat von Deggendorf einen Namen gemacht. Während der Flüchtlingskrise 2015/16 sogar bundesweit. Mit seiner freundlichen, pragmatischen Art ist Bernreiter weit über die Partei hinaus beliebt.
Doch mit dem Höhenflug der FW nach der Flugblatt-Affäre um Aiwanger gerät diese Strategie ins Wanken. In Landshut dürfte Aiwanger das erste Direktmandat der FW holen (siehe oben), auch im übrigen westlichen Niederbayern ist er extrem beliebt. Er spricht einen örtlichen Dialekt, kämpft für den ländlichen Raum – und jetzt kommt noch die Erzählung dazu, er sei Opfer einer Medienkampagne geworden. Das verfängt bis ins südöstlichen Oberbayern. Aber während dort der nüchterne Florian Streibl auf Platz 1 der FW-Liste steht, ist es in Niederbayern eben Aiwanger. Seine Plakatdichte ist enorm. „Im ländlichen Raum ist er längst zu einer politischen Kultfigur geworden, die der Landbevölkerung aus dem Herzen spricht und als politischer Anwalt der Regionen Bayerns gesehen wird. Gerade dort hoffe ich deshalb auf ein Rekordergebnis für uns FW“, sagt Fabian Mehring, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion.
Schon 2018 holten die FW in Niederbayern 17,9 Prozent (CSU: 38,1), selbst in der CSU befürchten sie diesmal mehr als 20 Prozent. Auch die AfD könnte noch zulegen, vor allem im Grenzgebiet. 2018 war sie mit 13,4 Prozent mehr als drei Prozentpunkte stärker als im Freistaat.
In Oberbayern gibt es ein starkes Stadt-Land-Gefälle. In München kamen die FW 2018 nur auf 6,1 Prozent, die CSU landete mit 24,8 Prozent klar hinter den Grünen. Aber auch insgesamt büßten die Christsozialen 13,4 Prozentpunkte ein – mit 33,7 Prozent war das oberbayerische Ergebnis in der einstigen Hochburg noch schlechter als das bayernweite mit 37,2.
Diesmal wird es nicht leichter. Zwar ist der grüne Höhenflug (2018: 22,3 %) vorbei, dafür wildert Aiwanger außerhalb Münchens massiv bei der CSU. Die Bierzelte bei seinen Auftritten sind voll, in Whatsapp-Gruppen werden Videos seiner Reden geteilt. Nicht zuletzt, wenn es gegen die Großstädter geht. CSU-Wahlkämpfer berichten von schwierigen Gesprächen an Infoständen. Spannend wird, ob es nach der Wahl Schuldzuweisungen in der CSU gibt; zumal das Verhältnis von Aigner und Söder schwierig ist.
Doch welchen Einfluss haben Aigner und Bernreiter überhaupt? Tatsächlich gibt es nur einen, der aktuell die CSU repräsentiert: Markus Söder. Der Wahlkampf ist auf ihn zugeschnitten. Als er neulich sein Bauprogramm präsentierte, fehlte der zuständige Bauminister Bernreiter. Aigner hält sich medial zurück.
Viele hadern in der CSU, dass sich Söder zu früh auf Aiwanger festgelegt habe. „Der verspricht allen alles“, klagt einer. „Und wir können ihn nicht zur Rede stellen. Weil wir ja weiter mit ihm regieren wollen.“ MIKE SCHIER