Der Kampf um die knappen Kreise

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Ganz im Zentrum der Landeshauptstadt herrschen noch geordnete politische Verhältnisse. Der Herr Landtagsabgeordnete tritt wieder an, man erwartet 40 bis 50 Prozent für ihn, das letzte Mal deklassierte er die Gegner im Stimmkreis um rund 30 Punkte. So wie in München-Mitte stellt sich der Laie die Lage in ganz Bayern vor: Das Gesetz der Mehreren und Schwereren, die immer regieren. Wäre da, hoppla, nicht ein Detail: Der Herr Abgeordnete ist ein Grüner.

Der kleine Stimmkreis im Zentrum der Stadt, 89 000 Wähler, ist fest in Hand des Grünen-Fraktionschefs Ludwig Hartmann (45). Es sind liberale, bunte Viertel und die Bahnhofsgegend, die hier zu einem Stimmkreis zusammengeschnitten wurden, auf der Karte bananenförmig. In München erzählt man sich, die CSU habe das vor vielen Jahren mal als „bad bank“ geplant: jene allergroßstädtischsten Straßenzüge zusammengefasst, in denen sie sich strukturell am schwersten tut. Also lieber ein Direktmandat verlieren, dafür die anderen genau 90 umso sicherer gewinnen.

„Ich bin ehrlich – das werden wir nicht toppen können“, sagt Hartmann über seine 44 Prozent vom letzten Mal, der Wahl 2018. An seinem Sieg, so engagiert die Gegenkandidaten auch sind, zweifelt allerdings kein Beobachter. Mitte wird nicht der einzige bunte Fleck auf der Landkarte bleiben. Wie 2018 wackeln weitere der neun Münchner Stimmkreise.

Schwabing und Milbertshofen, wo Co-Fraktionschefin Katharina Schulze antritt, sind grünes Erwartungsland, wahrscheinlich auch Giesing. Dafür dürfte sich die CSU Moosach zurückholen. Die lokalen Vorhersagen privater Anbieter sind nicht hundertprozent verlässlich, decken sich aber mit Einschätzungen einiger Wahlkämpfer.

Letztes Mal holte die CSU bei den Erststimmen bayernweit 36,7 Prozent, gar nicht ewig weit vor Grünen (17,6), Freien Wählern (11,9), AfD (10,3) und SPD (10,0). Dass die Grünen in Metropolen auf Platz 1 landen können, ist keine Sensation mehr. Auch in Erlangen und Würzburg ist das denkbar, wenn auch aktuell nicht wahrscheinlich. In Nürnberg, wo auch Markus Söder kandidiert, wackelt nichts. Spannender ist, dass ländliche Stimmkreise kippeln. Als verloren gilt bei CSU-Strategen Landshut. In der Region lebt Freie-Wähler-Chef und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger, er ist hier sehr populär und hat keinen starken CSU-Gegenkandidaten. Es wäre das erste FW-Direktmandat überhaupt.

Oder sogar zwei, drei? In den letzten Tagen gibt es aus mehreren Landkreisen knappe Rückmeldungen. In Freising hat Minister Florian Herrmann (CSU) im Abgeordneten Benno Zierer (FW) einen präsenten Gegner, auch wenn das Riesenstreitthema dritte Startbahn weitgehend abgeräumt wurde. In Neuburg könnte FW-Staatssekretär Roland Weigert eine Überraschung schaffen. Diffus ist die Lage in Schwaben. Die Daten der Institute geben das nicht her, in der CSU wird aber geraunt, dass man sich in Kempten (wo Fraktionschef Thomas Kreuzer aufhört) und Dillingen des Vorsprungs vor den Freien Wählern nicht ganz sicher sei.

Ganz in Ostbayern gibt es die Sorge vor einem AfD-Direktmandat. Und das akut, ist in Freyung zu hören. Die seit Corona gereizte Stimmung hat sich weiter verschlechtert – jetzt flammt die Migrationsdebatte auf. Nahe Zwiesel soll ein schickes Hotel in eine Asylbewerber-Unterkunft umgebaut werden, die Emotionen kochen hoch. Der örtliche CSU-Kandidat ist neu, hatte sich per Kampfabstimmung durchgesetzt. Retten könnte die CSU vor Ort ein Recheneffekt: Dass sich Unzufriedene so auf FW und AfD verteilen, dass am Ende der CSU-Kandidat doch die relativ meisten Stimmen bekommt.

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