München – Das letzte Mal ging es unfassbar schnell, der Zufall half. Am Wahlsonntag um 18.38 Uhr rumpelten die Delegationen von CSU und Freien Wählern im engen Treppenhaus des Landtags ineinander. Kurz stutzten Markus Söder und Hubert Aiwanger, dann steckten sie die Köpfe zusammen. Er wolle eine bürgerliche Regierung, raunte Söder, ob man morgen telefonieren könne? Aiwanger nickte. Nach zwei Minuten auf dem Treppenabsatz, fast unbemerkt von hunderten Journalisten im Haus, war geregelt: Die Wunschkoalition wird sondiert.
So schnell wird es heuer nicht klappen. So reibungslos erst recht nicht. Die Regierungspartner haben sich entfremdet: Das persönliche Verhältnis Söder – Aiwanger hat massiv gelitten, in der CSU gibt es heiligen Zorn über den FW-Chef. Der wiederum dürfte – wenn die Umfragen halbwegs Wirklichkeit werden – noch breitbeiniger in die Sondierungen gehen. Denn alles sieht danach aus, als könnte die Partei die 11,6 Prozent von 2018 noch deutlich toppen.
Für die Parteien heißt das: Tempo – teils auch, um missliebige Ursachenforschung für schlechte Ergebnisse und eventuell sogar Personaldebatten kurz zu halten. In der ersten Woche nach der Wahl werden alle Fraktionen, beginnend mit der CSU am Dienstag, ihre Chefs wählen. Bei der CSU könnte Noch-Gesundheitsminister Klaus Holetschek (58) auf den Posten rücken, bei den Freien Wählern dürfte zunächst einmal Florian Streibl im Amt bestätigt werden. Dann geht es fix an Sondierungen.
Das wahrscheinlichste Szenario: Weil es im Wahlkampf stets so betont wurde, dürften sich zunächst CSU und Freie Wähler an einen Tisch setzen. Aiwanger könnte dabei ein viertes Ministerium fordern: Landwirtschaft. Womöglich hat er selbst daran Interesse, gehandelt wird aber auch Ulrike Müller (60), die aus dem Europaparlament ins Maximilianeum wechselt. Die CSU hatte diese Idee zunächst brüsk zurückgewiesen. Zuletzt aber beantwortete Söder Fragen nach dem Agrarressort zurückhaltender. Doch klar ist: Einfach oder gar harmonisch werden die Gespräche nicht.
Sollte Aiwanger gar zu forsch auftreten, wird immer lauter über eine weitere Option getuschelt: Sondierungen der CSU mit der SPD. Und sei es nur um Aiwanger zu ärgern und einzubremsen, ahnen sogar führende FW-Politiker. Für die CSU spielen dabei viele strategische Überlegungen eine Rolle – vor allem die Bundestagswahl 2025, bei der Aiwanger die CSU als Sprachrohr Bayerns im Bund ablösen will. Das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten bietet ihm eine große Bühne.
Eigentlich fremdeln CSU und BayernSPD traditionell. Allerdings hat sich etwas verschoben, seitdem die Genossen nur fünftstärkste Kraft sind. „Wenn ich die CSU wäre, würde ich anrufen“, hat Spitzenkandidat Florian von Brunn (54) unlängst gesagt. Der SPD-Chef, einst vom linken Flügel, tritt schon länger mittig auf. Andere mögliche Ministerkandidaten der SPD wie Landtagsvize Markus Rinderspacher (54) wären dagegen gut vermittelbar. Und Söder dürfte natürlich auch immer seine Berliner Ambitionen im Blick haben – wo er die SPD irgendwann noch gut brauchen könnte.
Wie weit oder wie ernst man solche Sondierungen betreiben könnte, ist offen. Die SPD scheint jedenfalls sehr gesprächsbereit. Doch die Verfassung und die Landtags-Geschäftsordnung setzen gnadenlos enge Fristen, die kaum Platz für taktische Spielchen lassen. Spätestens 22 Tage nach der Wahl muss der Landtag zusammenkommen, dabei die Rede eines Alterspräsidenten über sich ergehen lassen und einen richtigen Präsidenten wählen. Wahrscheinlichste Variante: wieder Ilse Aigner. Der Termin ist auf 30. Oktober gelegt.
Innerhalb einer weiteren Woche, also spätestens am 6. November, muss ein Ministerpräsident gewählt werden. Heißt: Für die kompletten Koalitionsverhandlungen, von Anbandeln bis Unterschreiben, sind heuer nur 27 Tage Zeit. Falls das nicht klappt, falls die Ministerpräsidentenwahl scheitert, gibt es eine letzte Frist – ansonsten wird Ende November der Landtag aufgelöst, es gäbe Neuwahlen. Aber das will niemand.