Die Grünen mit dem blauen Auge

von Redaktion

Die Öko-Partei verliert zwar, holt aber ihr zweitstärkstes Ergebnis – und hadert mit dem Abschneiden der AfD

München – Im grünen Urwald regiert um 18 Uhr die pure Erleichterung. Die Fraktion hat den sonst sehr nüchternen Weiße-Rose-Saal im Landtag liebevoll umdekoriert. Dutzende Bäume und Sträucher in riesigen Töpfen wurden herbeigekarrt und in grünes Licht getaucht. Eine kleine Idylle in dieser kalten, harten Welt, die die Partei in den letzten Monaten mit so viel Liebesentzug bestraft hat. Doch jetzt leuchtet auf dem großen Bildschirm die BR-Prognose auf. Zweitstärkste Kraft! Die Kameras fangen euphorischen Jubel ein.

Gut, dass man nicht das ZDF live übertragen hat: Auf einem kleinen Fernseher am Rand liegt die AfD vor den Grünen. Und der Lauf des Abends wird zeigen, dass dies die realistischere Einschätzung ist. Auch die Freien Wähler ziehen später noch vorbei. Das Minus der Grünen im Vergleich zu 2018 wächst stetig.

Trotzdem: Es hätte schlimmer kommen können. Die Öko-Partei hat einen denkbar schwierigen Wahlkampf hinter sich – mit harten Attacken von CSU und Freien Wählern. Die Ampel-Politik im Allgemeinen, das Heizungsgesetz im Besonderen. Genderzwang, Fleischverbot. Zur Wahrheit gehört: Auch am grünen Buffet gibt es am Wahlabend Schnitzel und Braten. Und als Katharina Schulze und Ludwig Hartmann die Bühne betreten, ist’s mit dem Gendern vorbei. Schulze dankt gewohnt euphorisch „allen Ehrenamtlichen, allen Mitgliedern, die sich in diesen Wahlkampf reingeschmissen haben“. Nix *innen. Aber: Alle hätten gezeigt: „Auch wenn der Wind uns mal ein bisschen ins Gesicht steht – wir stehen.“

Ganz nüchtern betrachtet, haben die Grünen zwar im Vergleich zu 2018 verloren. Damals aber feierte man eine rauschende Party, auf dem Höhepunkt des Baerbock- und Habeck-Hypes. Am Ende stürzte sich Ludwig Hartmann in der Muffathalle zum Stage Diving in die Menge. Diesmal geht es zwar deutlich nüchterner zu. Aber man verbucht immer noch das zweitbeste Ergebnis im Freistaat überhaupt. „Das zeigt, dass wir stabil in unserem schönen Bayern verankert sind“, sagt Schulze. In Hessen sind die Verluste größer, obwohl die Partei dort in der Landesregierung sitzt.

„In den letzten drei Wochen ist die Stimmung deutlich besser geworden“, fasst Ludwig Hartmann die Rückmeldungen der Wahlkämpfer zusammen. „Die Tonalität war eine andere, die Gemüter haben sich runtergekühlt.“ Im Juni, Juli, August – rund um die Erdinger Anti-Heizgesetz-Demo – war es richtig schwierig. Nachdem in Neu-Ulm dann ein Stein in Richtung des Spitzenduos geflogen war, mäßigten sich die Proteste. Danach habe es fast eine Art Trotzreaktion der vielen Ehrenamtlichen an der Basis gegeben, sagt der schwäbische Abgeordnete Max Deisenhofer. Er findet: „Bei dem ganzen Gegenwind ist das ein gutes Ergebnis.“

Für Verbitterung sorgt eher das starke Abschneiden der AfD. Für deren Jubelbilder gibt es Buh-Rufe im Saal. Man müsse sich schon Gedanken machen, wie man diesen Trend stoppen könne, heißt es an den Tischen. Das sei aber ein Thema für Berlin.

In Bayern heißt es nun weiter Opposition. An die halbherzig vorgetragenen Koalitionsangebote glaubt man selbst nicht mehr. Schulze und Hartmann wollen als Fraktionsvorsitzende weitermachen – auch wenn immer wieder geraunt wird, die beiden hätten kein gutes Verhältnis. Tatsächlich sind beide sehr unterschiedliche Typen. Sie: die Frau fürs Rampenlicht, die keinem Wortgefecht aus dem Weg geht, manchmal etwas überdreht. Er: der eher inhaltliche Stratege, deutlich ruhiger und rhetorisch nicht so stark. In der Regel ergänzt sich das gut, auch wenn der Umgang der beiden miteinander eher professionell als freundschaftlich ist. Aber das kennen die Grünen von Doppelspitzen auch noch ganz anders – im Bund wie im Land.

Die Fraktion dürfte dank des Ausscheidens der FDP in etwa eine ähnliche Größe wie bislang haben (35 Abgeordnete). Natürlich haben auch hier einige Karrierepläne. Doch Hartmann und Schulze haben gute Argumente: Beide gewannen ihre Stimmkreise in der Münchner Innenstadt klar. MIKE SCHIER

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