Hessen: Rhein hat die freie Wahl

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Hip-Hop ist nicht die typische Begleitmusik der CDU, aber in diesem Moment kann die Partei darauf keine Rücksicht nehmen. Die „Fantastischen Vier“ dröhnen also aus den Lautsprechern, als Boris Rhein den Saal betritt. Man sei „zusammen groß“, heißt es, die Gemeinschaft wird wortreich beschworen, und irgendwann fällt der schöne Satz: „Wir setzen uns ’n Denkmal.“

Das ist ein bisschen dick aufgetragen, denn die Union stellt bereits seit knapp 25 Jahren den Ministerpräsidenten in Hessen, Aber es drückt auch die euphorisierte Stimmung aus. Rhein und die CDU sind mit glänzenden Umfragewerten in den Wahltag gestartet, doch das Ausmaß der Stimmengewinne kommt selbst für kühne Optimisten unerwartet. 34,5 Prozent bedeuten ein Plus von 7,5 Punkten gegenüber den 27 von 2018. „Ein unfassbar großartiger Tag“, ruft Rhein.

Das können die anderen Spitzenkandidaten so nicht sagen. Tarek Al-Wazir weist zwar darauf hin, dass die hessischen Grünen, Koalitionspartner der CDU, „das zweitbeste Ergebnis unserer Geschichte“ erzielen – aber das beste war eben vor fünf Jahren. Gegenüber 2018 büßt die Partei mit 14,8 Prozent fünf Punkte ein. Noch härter erwischt es Nancy Faeser, deren SPD in Hessen mit 15,1 Prozent auf einen historischen Tiefpunkt abstürzt.

Für Rhein bedeutet das, dass er die freie Wahl hat, wenn es um den künftigen Koalitionspartner geht. SPD und Grüne sind gestutzt, die FDP als dritter Kandidat bewegt sich zu diesem Zeitpunkt hart an der Fünf-Prozent-Marke. Der Ministerpräsident kann die Verhandlungen aus einer Position der maximalen Stärke führen.

Alle sind dann beim Treffen im TV-Studio sehr freundlich zu ihm. Al-Wazir entnimmt den Zahlen immerhin, dass die Hessen „keine Wechselstimmung“ verspüren würden und dass das Problem für die Grünen kein hessisches sei. Aus der Bundesregierung habe man „nicht nur keinen Rückenwind bekommen, sondern Gegenwind“.

Der Wahlkampf in Hessen drehte sich fast ausschließlich um Berlin und die mit sich selbst ringende Ampel. Landesweite Projekte wie der für die SPD zentrale Vorsatz, 12 500 neue Lehrer einzustellen, oder der Anspruch der Grünen, 30 Millionen Bäume pflanzen und 20 000 Kitaplätze schaffen zu wollen, waren nur Fußnoten. Speziell Nancy Faeser – die die Bundesregierung als Innenministerin verkörpert – konnte unter diesen Umständen fast nur verlieren.

„Mit unseren Themen sind wir leider überhaupt nicht durchgedrungen“, räumte sie dann auch ein. Man gewinne und verliere gemeinsam, versuchte sie die SPD-Gemeinde zu trösten, aber so ganz stimmt das nicht. Wenn Hessens SPD noch ihre Wunden leckt, wird Faeser längst wieder in Berlin ihren Regierungsgeschäften nachgehen. Generalsekretär Kevin Kühnert erklärt, Faeser habe „den klaren Rückhalt als Bundesinnenministerin“.

Während die Linke aus dem Landtag fällt und die Freien Wähler den Einzug verpassen, ist die Stimmung bei der AfD glänzend. Die Zahlen weisen sie als zweitstärkste Kraft aus (18,4 Prozent), das beste Ergebnis in einem westdeutschen Flächenland. Auch Landeschef Robert Lambrou bringt sich für eine mögliche Koalition in Stellung: „Wir stünden bereit.“ Er wird vergeblich warten. Rhein mag die freie Wahl haben, aber in einem Punkt hat er sich gleich festgelegt. Von der AfD trenne die CDU „nicht nur eine Brandmauer, sondern ein tiefer Graben“.

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