München – Um 18:40 Uhr schiebt sich ein vielbeiniger Wurm in den eh schon prall gefüllten Saal. Umgeben von Sicherheitsleuten, seinen engsten Mitarbeitern und gefolgt von den wichtigsten Ministern erreicht Markus Söder seine Wahlparty. Er drückt das breite Kreuz durch, wirkt gefasst. Das ist kein Triumphzug hier, aber auch kein Trauermarsch. Freundlicher Beifall empfängt ihn, immerhin.
Mit dem schlechtesten Ergebnis der CSU seit 1950 tritt der Partei- und Regierungschef vor seine Unterstützer. Andere würden stolpern auf diesem Weg, stürzen. Ein Vorgänger, Günther Beckstein war das im Herbst 2008, musste sich mit 42,4 Prozent mal auf dem Landtagsklo verstecken und dort seine Rücktrittserklärung vorbereiten. Söder erreicht unfallfrei die Bühne, und es ist spannend, ihm da zuzuhören. „Die CSU hat diese Wahl klar gewonnen“, ruft er in den Saal. „Es ging uns nie um einen Schönheitspreis, sondern um einen klaren Regierungsauftrag.“ Einen Auftrag, ergänzt er, „an mich persönlich“.
Das ist die klare Kampfansage an alle, die vorher unkten oder zweifelten: Söder macht weiter bei diesem Ergebnis. Und das wird keiner der „lieben Freundinnen und Freunde“, die er in seiner Rede anspricht, infrage stellen. Das Ergebnis ist nicht gut genug für ehrlichen Jubel, aber nicht schlecht genug für einen Sturz. „Zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben“, sagt einer aus dem engsten Parteivorstand achselzuckend und meint: Also weitermachen.
Es lohnt sich, diesen Wahlabend nochmal genau anzuschauen, weil es auf die Feinheiten ankommt. Der turbulente Tag beginnt für Söder hinter einer gelben Mülltonne. In einer Nürnberger Grundschule wählt er, die Tonne dient als Urne. Noch scherzt er. Er habe „lange überlegt“, sagt er, als er aus der Wahlkabine tritt und die Zettel einwirft. Und dann ernster: „Jetzt warten wir ab, was die Menschen heute entscheiden in Bayern.“
Sie entscheiden, dass er bleiben darf, aber mit einem weiteren Dämpfer. Und auch die Demoskopen schicken Söder auf eine Achterbahnfahrt an diesem Tag. Die ersten Daten, die in der CSU um 15 Uhr kursieren, sehen die Partei nämlich auf 35 Prozent absacken, zeitgleich die hessische CDU auf 35,5 steigen, was für Söder nicht gut ausgesehen hätte. Später purzelt eine 39-Prozent-Prognose durch die Whatsapp-Gruppen, wird eilig verbreitet. Alles vertrauliche Daten, über die niemand vor 18 Uhr sprechen soll, aber die doch jeder im Polit-Betrieb hat. Die 37 Prozent, die dann bei der 18-Uhr-Prognose über die Bildschirme flimmern, sind so der Mittelwert.
Söder weiß, dass es enorm auf die Deutung dieser Zahl ankommt. Er schart die engsten Vertrauten um sich, telefoniert, tippt. Für 18:02 Uhr schickt er eine der loyalsten Mitstreiterinnen vor die Live-Kameras. Als „starkes Zeichen“ lobpreist Agrarministerin Michaela Kaniber das Resultat also, und ihren Chef als „starken Krisenmanager in Fleiß und Disziplin“.
Zwischentöne müssen von anderen kommen an diesem Abend, und es werden mehr, je tiefer die CSU im Laufe des Abends unter 37 sinkt. Man sieht Parteivize Manfred Weber ins Maximilianeum huschen, aber nicht auf Söders Partybühne treten. „Wir freuen uns über den Regierungsauftrag für Markus Söder“, sagt er zurückhaltend, spricht von einer „Gemeinschaftsleistung“. Aber fordert: „Wir müssen diese Wahlen sauber analysieren.“ In der Politik heißt das so viel wie: Wir sprechen uns noch.
„Genau und ehrlich analysieren“, so sagt genau das auch Ilse Aigner, die Landtagspräsidentin und Chefin der CSU Oberbayern. Regierungsauftrag ja, aber „wir müssen uns auch eingestehen, dass wir erneut Stimmen verloren haben. Ich bin enttäuscht, dass wir unser Potenzial nicht ausschöpfen konnten.“ Obwohl alle, „auch und vor allem der Parteivorsitzende, gekämpft haben“. Und Kerstin Schreyer, die von Söder geschasste Ex-Ministerin, warnt vor falschem Jubel: „Das kann uns nicht zufriedenstellen.“ Wie Weber verweist sie auf die hohen AfD-Werte und klagt, die CSU müsse mehr Stimmen im großen Spektrum Mitte/rechts holen.
Viele, wohl die meisten in der Parteiführung, nehmen die Zahlen nüchtern auf, ohne Freude, ohne Flüche. Der Chef der Jungen Union, Christian Doleschal, diagnostiziert ein „durchaus akzeptables Ergebnis“. Und Joachim Herrmann, der Innenminister, stellt sich mit verschränkten Armen fast buddhaesk in die Mitte der Wahlparty. „Es ist solide“, sagt er mit seiner Brummstimme in größter Gelassenheit jedem Fragesteller, „nach, ja, insgesamt schrägen Monaten“. Herrmann rät seiner Partei, schnell mit den Freien Wählern zu reden, und nur mit ihnen. Man habe das im Wahlkampf dauernd versprochen, „das werden wir nicht eine Minute nach der Wahl infrage stellen“. Das sei, fügt er dann mit sanfter Ironie an, „aber nur meine ganz unmaßgebliche Meinung“.
Naja, nicht nur seine. Auch sein Chef drückt ab 18 Uhr aufs Tempo. Er will möglichst schnell alle Personalien festzurren, Fakten schaffen, so wie 2018. Am heutigen Montag soll Generalsekretär Martin Huber im Vorstand im Amt bestätigt werden, ein nach diesem Ergebnis nicht selbstverständlicher Akt. Morgen kommt die neue Landtagsfraktion zusammen, soll den neuen Chef wählen (vermutlich Klaus Holetschek), aber auch zwei Personalien festzurren: Aigner soll wieder als Landtagspräsidentin, Söder als Ministerpräsident nominiert werden. Intern wird emsig debattiert, ob bei Söder in geheimer Wahl, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, oder einfach per Handheben.
Und sofort will der 56-Jährige in die Sondierung mit den Freien Wählern starten, „Noch in dieser Woche werden wir Gespräche führen“, sagt er und schiebt am Rande der Wahlparty gleich ein paar Dämpfer in Richtung Aiwanger hinterher. „Die CSU ist die klare Nummer 1 und gibt die Richtlinien vor.“ Er habe den guten Rat, jetzt nicht über Posten zu sprechen „und nicht von Bundesträumen zu reden“.
„Ich bin enttäuscht“, sagt Ilse Aigner in den Jubel hinein