Die CSU ist etwas Besonderes. Über 70 Jahre stellen wir den Ministerpräsidenten und führen die Staatsregierung, meist mit absoluter Mehrheit. Der Freistaat hat sich in dieser Zeit stark entwickelt. Die CSU mit Markus Söder an der Spitze hat gerade deshalb einen klaren Regierungsauftrag bekommen. Wir werden das Versprechen von Stabilität und bürgerlicher Vernunft in Bayern halten.
Dennoch: Es hat sich in den letzten Jahren etwas verschoben. Für uns in der CSU waren zwei Grundpfeiler immer klar. Erstens darf es rechts von der CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben. Das hat uns Franz Josef Strauß eingeimpft. Zweitens sind wir die einzige politische Stimme Bayerns. Diese Grundprinzipien stehen durch die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen mehr als infrage, und das muss die CSU über den Wahltag hinaus umtreiben.
Die Einzigartigkeit der CSU als die Volkspartei Bayerns ist in Gefahr. Wir sind stark, aber verglichen mit den Wahlergebnissen der CDU beispielsweise in Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein stechen die CSU-Ergebnisse nicht mehr heraus. Und die nächste Wahl, die Europawahl, steht bereits vor der Tür. Dort sind die Rahmenbedingungen aus vielen Gründen noch mal ungleich schwerer als bei der Landtagswahl. Es wird schwer, den Trend nach unten zu stoppen. Was ist zu tun?
Erstens, die CSU muss endlich die Auseinandersetzung mit den Freien Wählern suchen. Deren Vorsitzender Aiwanger mag ein Mann starker Sprüche sein, aber er ist ein mäßiger Wirtschaftsminister. Für den Frust vieler Bauern beim Umsetzen der Nitrat-Richtlinie ist ein FW-Umweltminister zuständig. Die CSU muss dem Aiwanger-Populismus, der zudem AfD-Argumente legitimiert, entgegentreten.
Die CSU hat in Bayern nie Koalitionswahlkämpfe geführt, sondern immer einen selbstständigen „Wir sind Bayern“-Wahlkampf, der zeigt, wohin wir den Freistaat in Zukunft führen wollen. Wir haben die FW zu lange mit Samthandschuhen angefasst. Derweil steht nur die CSU für Bayern ein. Im Europäischen Parlament etwa sind die FW künftig mit keinem bayerischen Abgeordneten mehr vertreten.
Zweitens, wir nehmen die Sorgen der AfD-Wähler ernst. Keine Wählerbeschimpfung, sondern Handeln ist angesagt. Die Zahlen für ankommende Migranten müssen schnell runter. Anfang des Jahres habe ich vor einer neuen Migrationskrise gewarnt. Leider wurde das Thema von vielen, vor allem von der Ampel-Regierung, zu lange aus taktischen Gründen weggeschoben. Schluss damit!
Der Staat kann die Ankunftszahlen senken, das zeigen die 90er. Berlin muss Anreizeffekte reduzieren, Bayern muss das Sachleistungsprinzip umsetzen, Europa muss die Außengrenze strikt – auch mit Zäunen – sichern, das Abkommen mit Tunesien umsetzen, damit Rückführungen ermöglicht werden. Hierfür müssen wir in Europa auch mit der Regierung von Giorgia Meloni in Italien zusammenarbeiten. Und: Die CSU war immer auch Leberkäsetage. Die Sozialdemokraten haben die Arbeiter teils an die AfD verloren. Die CSU kann hier gewinnen, mit einem starken sozialen Profil.
Drittens, die CSU braucht mehr personelle Breite. Wir hatten immer starke Parteivorsitzende, das ist auch heute der Fall. Aber die CSU kann die gesamte Bandbreite einer Volkspartei nur abdecken, wenn es – wie in der Vergangenheit – viele starke Persönlichkeiten gibt. Die Wahl von Klaus Holetschek zum CSU-Fraktionsvorsitzenden und die Wiedernominierung von Ilse Aigner als Landtagspräsidentin tun der CSU gut. Die Stärke der CSU war immer ihre Geschlossenheit und der Teamgedanke. Gerade vor dem Hintergrund der Europawahlen müssen wir jetzt unsere internationale Verankerung und Durchsetzungsfähigkeit zeigen. Damit kann nur die CSU punkten.
Viertens, wir brauchen programmatische Tiefe, wir brauchen Ideen für morgen. Zeiten, in denen Strauß die Wiederbewaffnung organisiert, Theo Waigel für den Euro geworben und Edmund Stoiber für den ausgeglichenen Haushalt gestritten hat, waren nicht einfach, aber die CSU hat gerade mit diesen mutigen Themen Wahlen gewonnen, weil die Menschen spürten: Die CSU brennt fürs Land, die Richtung stimmt, uns geht es um die Sache.
Und heute? Wir alle erleben Krieg gegen die Ukraine und jetzt auch gegen Israel. Die Welt droht in Gut und Böse zu zerbrechen. Es geht um Freiheit statt Diktatur, Zivilisation statt Terror, Miteinander statt Spaltung. Die CSU ist die einzige bayerische Kraft, die die großen Fragen unserer Zeit beantworten kann. Dafür brauchen wir Mut und Lust auf weitreichende Antworten.
Fünftens, die CSU hatte immer große Ideen für die Zukunft, wir haben Debatten geprägt. Vor allem: Man hat sich auf die CSU verlassen können. Glaubwürdigkeit ist die wichtigste Währung in der Politik. Wir sagen, was wir denken, und tun, was wir sagen. Vor allem bei unserer Kernklientel, Mittelständlern und Handwerkern, Bauern, Arbeitern, Familien gilt dies. Natürlich ist Politik heute schneller, kurzatmiger. Es ist schwieriger, Menschen überhaupt zu erreichen. Trotzdem bleibt eines richtig – Verlässlichkeit zahlt sich langfristig aus. Vertrauen war und ist die Grundlage für den CSU-Erfolg über Jahrzehnte.
In den 50er- und 60er-Jahren war die Bayernpartei ein sehr starker Mitbewerber, später haben uns NPD und Republikaner herausgefordert. Es war auch in früheren Jahren schwierig, die Einzigartigkeit der CSU zu verteidigen. Nicht ein „Weiter so“ wird die CSU zu neuer Stärke führen, sondern ein erneuertes CSU-Bewusstsein. Unsere Vorgänger waren erfolgreich – wir haben alle Voraussetzungen, dass uns das als CSU heute wieder gelingen kann, wenn wir gemeinsam für die Europawahlen anpacken.
Manfred Weber
(51) ist Vizechef der CSU. Er führt die Europäische Volkspartei und die EVP-Fraktion im Europaparlament.