Berlin – Dieser Mann ist wirklich schon 82 Jahre alt? Bernie Sanders, US-Senator aus Vermont und seit Jahrzehnten die wichtigste politisch linke Stimme der USA, ist nicht sehr groß, ziemlich dünn, aber kein bisschen wackelig, als er auf die kleine Bühne im Saal der Rosa-Luxemburg-Stiftung steigt. Auch die Stimme klingt fest, als er den USA bescheinigt, auf dem Weg in eine Oligarchen-Herrschaft zu sein.
Zunächst geht es aber erst mal um den Krieg in Nahost. Die SPD-Abgeordnete Saskia Esken hatte zuvor mitgeteilt, sie bleibe einem Empfang zu seinen Ehren fern, weil er seine „Relativierungen“ des Konflikts zwischen Israel und Hamas nicht korrigiere. Sanders geht nicht darauf ein, aber er erklärt am Anfang seines Vortrages, dass die Verbrechen der Hamas „unsäglich“ seien. Es sei aber eine schwierige Diskussion, da es „Extremisten auf beiden Seiten“ gebe. Relativierung? Wahrheit? Für Sanders ist die derzeitige Situation eine „Horrorshow“.
Dann leitet er zu seinem Thema über, der Oligarchisierung Amerikas. Die Zahlen liefert er mit. Die Pandemie zum Beispiel. Während der Corona-Krise, in der Tausende Menschen starben, habe sich das reichste Prozent der Gesellschaft zwei Drittel des in dieser Zeit geschaffenen Reichtums angeeignet – sagenhafte 26 Billionen Dollar.
Doch die Misere reiche schon Jahrzehnte zurück, und es ist die vom Niedergang der arbeitenden Klasse in den USA. Der Durchschnittslohn liege – wenn man die Preissteigerung mitberechnet – unter dem vor 50 Jahren. „Drei Menschen in den USA besitzen mehr Vermögen als die Hälfte der Amerikaner“, sagt Sanders. „Drei Menschen!“ Das Schlimme daran sei, dass diese Zahlen und Tatsachen kaum thematisiert würden, behauptet er, denn die Medien seien ebenfalls im Besitz der Oligarchen.
Eigentlich hat die Stiftung zur Diskussion zwischen Sanders und Carla Reemtsma von Fridays for Future eingeladen. Sie kommt aber nicht zustande. Erstens sind sich beide sehr einig in ihren Aussagen, dass Klima- und Sozialpolitik Hand in Hand gehen müssen. Und zweitens hat Sanders gar nicht so viel Zeit. Er ist in Deutschland unterwegs, um sein neues Buch vorzustellen. „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“. Der Titel klingt fast versöhnlich und vor allem so, als richte sich das Buch vor allem an junge Menschen. Sie machen in den USA in der Tat den Großteil seiner Anhänger aus. Zustimmung zu seinen Forderung bekommt er aber von allen Altersgruppen.
Sanders verweist in seinem Buch darauf, dass Dinge wie die staatliche Gesundheitsversorgung und kostenlose Bildung längst von einer Mehrheit der Amerikaner unterstützt werden. Die Klimakrise streift er nur kurz, aber dafür ist Carla Reemtsma da. In fließendem Englisch legt sie dar, wie die Dinge ihrer Meinung nach zusammenhängen: „Der Kapitalismus beutete Menschen und Klima aus“, sagt die 25-Jährige. Die Wahlsiege der AfD hingen in erster Linie mit der Transformationsangst der Menschen zusammen, die eine Klimapolitik befürchten, die ihr persönliches Leben teurer und damit schwerer macht. CHRISTINE DANKBAR