Polens Weg zurück nach Europa

von Redaktion

VON DORIS HEIMANN UND EVA KRAFCZYK

Warschau – Vieldeutig kommentierte Polens Präsident Andrzej Duda am Tag danach die Parlamentswahl in seinem Land. „Denjenigen, die diese Wahl gewonnen haben, gratuliere ich von ganzem Herzen“, sagte Duda. Wer der Gewinner ist, sagte der Präsident nicht. Am Wahlabend reklamierten sowohl die nationalkonservative Regierungspartei PiS als auch der Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) den Sieg für sich. Heute folgt das offizielle Ergebnis.

Die seit 2015 regierende PiS wird laut Prognosen stärkste politische Kraft. Aber ihre absolute Mehrheit ist weg, ein geeigneter Koalitionspartner nicht in Sicht. Dagegen wären drei Oppositionsparteien in der Lage, unter der Führung des früheren EU-Ratspräsidenten Tusk eine neue Regierung zu bilden. Das würde Polens Kurs ändern.

Aus deutscher Sicht gilt das vor allem im bilateralen Verhältnis. Mit ihrer Forderung nach 1,3 Billionen Euro Weltkriegs-Reparationen nervte die PiS-Regierung Berlin, mit antideutscher Hetze wollte sie im Wahlkampf Stimmen gewinnen. Doch die Mehrheit der Polen hat ein positives Bild vom Nachbarland, wie das deutsch-polnische Barometer regelmäßig zeigt.

Mit einem Regierungswechsel würde sich das Verhältnis entspannen, glaubt Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen Polen-Institut. „Man wird kooperationsbereiter sein – im deutsch-polnischen Verhältnis wie auch in der EU.“ Die jetzige Opposition werde zufrieden sein, wenn Deutschland sich zur Zusammenarbeit bereit erkläre – etwa beim Deutsch-Polnischen Haus in Berlin oder einem Fonds für Entschädigungsleistungen und zukunftsorientierte Projekte.

Entspannung gäbe es auch im Streit um Rechtsstaatlichkeit und Migration. Die PiS hat das Justizsystem umgebaut und liegt deshalb im Dauerstreit mit der EU-Kommission – mehrere Vertragsverletzungsverfahren laufen, die EU blockiert einen milliardenschweren Corona-Hilfsfonds. Angesichts wirtschaftlich schwieriger Zeiten und hoher Inflation bezweifeln viele Polen, dass sich ihr Land den Verzicht auf die EU-Milliarden leisten kann. Die Bürgerkoalition von Tusk hat angekündigt, die Justizreform rückgängig zu machen. „Sehr gute Nachrichten“ seien das aus Polen, sagte deshalb der Chef der Konservativen in Europa, der CSU-Politiker Manfred Weber. Eine neue Ära beginne, Polen habe eine große europäische Zukunft.

Keine Änderung dagegen wird es voraussichtlich bei der Position Polens zum EU-Asylkompromiss geben, der eine verpflichtende Aufnahme von Flüchtlingen durch die Mitgliedsländer vorsieht. Die PiS-Regierung lehnt das ab. Vertreter der Bürgerkoalition äußerten sich ähnlich. Sie wollen allerdings konzilianter vorgehen.

Der wohl größte innenpolitische Fehler der PiS war die Verschärfung des Abtreibungsrechts. Im Oktober 2020 entschied das von der PiS kontrollierte Verfassungsgericht, dass Frauen auch dann keine Abtreibung vornehmen dürfen, wenn das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen aufweist. Danach gab es wochenlange Proteste. Alle drei Oppositionsparteien, die möglicherweise die neue Regierung bilden könnten, haben unterschiedlich weitgehende Vorschläge für eine Lockerung.

Nicht zuletzt dürfte es Erleichterung in der Ukraine geben. Das EU- und Nato-Land Polen hat fast eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und ist einer der wichtigsten politischen und militärischen Unterstützer Kiews. Zuletzt wurde das polnisch-ukrainische Verhältnis aber durch den Streit über den Import und Transit von ukrainischem Getreide lädiert. Warschau verkündete, nur noch laufende Verträge über Militärhilfe zu erfüllen.

Vor der Wahl wollte die PiS damit die Stimmen der erbosten polnischen Bauern zurückgewinnen. Egal, wer künftig in Warschau regiert: Beobachter rechnen damit, dass sich das Verhältnis schnell wieder einrenkt.

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