München – Wie so oft sind es die Details, die sprachlos machen. Es gibt ein online geteiltes Handy-Video, das zeigt, wie der Mann, der später zwei Schweden töten wird, am Montagabend auf einem Brüsseler Bürgersteig in aller Ruhe sein Sturmgewehr präpariert. Jemand filmt aus einer höher gelegenen Wohnung, wie der Attentäter in einer orangenen Jacke an der Waffe rumschraubt, während Autos an ihm vorbeifahren. Dann gibt der Mann einige Schüsse ab. Autos halten kurz, hupen und fahren dann weiter. Der Schütze setzt sich auf seinen Motorroller und fährt ebenfalls weg. Bereit zum Morden. Ein drittes Opfer ist inzwischen außer Lebensgefahr.
Hinter Brüssel liegt am Dienstag eine Nacht voller Furcht. Der Schütze galt als flüchtig, die Menschen wurde aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Erst am Morgen kommt die Nachricht, dass die Polizei den 45-jährigen Tunesier, einen abgelehnten Asylbewerber, erschossen hat. Die Beamten hatten ihn in einem Café im Stadtteil Schaerbeek aufgespürt. Der Mann war für die Beamten kein Unbekannter: Menschenhandel, illegaler Aufenthalt und Gefährdung der Staatssicherheit standen in seinem Register. In der Nacht hatte er bereits ein Bekennervideo hochgeladen, in dem er seine Nähe zur Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) erklärte. In einem weiteren Video, das er vor der Tat gepostet hatte, äußerte er, dass der Koran für ihn „eine rote Linie“ sei und er sich dafür „opfern“ würde. Mit Blick auf die jüngsten Koranverbrennungen in Schweden könnte das erklären, wieso er Männer in Schweden-Trikots als Opfer auswählte. Im Brüsseler König-Badouin-Stadion wurde wenig später das EM-Qualifikationsspiel zwischen Belgien und Schweden angepfiffen – und abgebrochen.
Das alles erinnert stark an die Jahre um 2015 und 2016, als besonders in Frankreich und Belgien nach großen Anschlägen mit vielen Toten die Terrorangst umging. Auch Deutschland traf es im Dezember 2016 mit dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz. Nun wirkt es, als könnte die Eskalation im Nahen Osten auch wieder eine neue Terror-Dynamik nach Europa bringen.
In Paris ist die Nervosität groß. Europa sei „erschüttert“, sagte Präsident Emmanuel Macron zu den Geschehnissen in Brüssel – und ließ noch am Montagabend ankündigen, dass Frankreich die Grenzkontrollen zum Nachbarland Belgien verschärfen werde. Dass die Gefahr allerdings auch von ihnen kommt, zeigte in der vergangenen Woche der Messerangriff in einer französischen Schule, bei dem ein Lehrer starb. Der Täter war ein radikalisierter Muslim tschetschenischer Herkunft, der seit seinem sechsten Lebensjahr in Frankreich lebt. Grenzkontrollen hätten ihn nicht aufgehalten.
Das weiß auch Macron und hat die Behörden angewiesen, die nationale Gefährderdatei nach auszuweisenden Menschen zu kontrollieren. Niemand soll übersehen und die Abschiebeverfahren beschleunigt werden. Besonders im Fokus: junge Männer aus dem Kaukasus zwischen 16 und 25 Jahren. Gleichzeitig gilt die höchste Terrorwarnstufe. Jede Bombendrohung wird als Ernstfall eingestuft, nichts soll auf die leichte Schulter genommen werden.
Auch Schwedens Regierungschef Ulf Kristersson sieht sein Land nach dem Angriff auf seine Landsleute großer Gefahr ausgesetzt. „Noch nie in der Neuzeit stand Schweden unter einer so großen Bedrohung wie jetzt“, sagt er am Dienstag.
Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht am Dienstag von einer „erheblichen und jederzeit akuten Gefahr“ durch den IS und Ableger, aber auch durch islamistische Einzeltäter. „Unsere Sicherheitsbehörden nehmen jeden Hinweis auf islamistische Terrorgefahren sehr ernst – und handeln“, sagt Faeser. Man arbeite im Kampf gegen den Terror eng mit Belgien und Schweden zusammen.