Berlin – Er ist der bekannteste Politiker der Linken – und vielleicht ihre letzte Hoffnung: Gregor Gysi. Im Interview spricht er über seine Angst vor seiner Noch-Parteikollegin Sahra Wagenknecht und die Gründung ihrer neuen Partei.
Herr Gysi, haben Sie schon mal von Sahra Wagenknecht geträumt?
Da ich mich an die meisten meiner Träume nicht erinnern kann, weiß ich es nicht.
Falls Sie von ihr träumen würden: Albtraum oder schöner Traum?
Weder noch. Ich versuchte, Sahra zu überzeugen, in der Linken zu bleiben, aber sie ist schon sehr weit weg. Dabei kann sie eigentlich nicht sagen: Die Linke ist plötzlich so unerträglich geworden. Ihr Buch „Die Selbstgerechten“ hat sie schließlich schon im April 2021 veröffentlicht. Trotzdem hat sie sich entschieden, als Spitzenkandidatin in NRW zu kandidieren. Danach hat sie allerdings zusammen mit ihrem Mann dazu aufgerufen, im Saarland nicht die Linke zu wählen. Das darf man nicht. Aber das alles ist für mich nicht ausschlaggebend.
Was ist für Sie auschlaggebend?
Meine Partei ist keine Einheitspartei, sondern eine „Von-bis-Partei“ – und da gehört für mich Sahra Wagenknecht ebenso dazu wie andere und ich. Dennoch wird sie gehen, was ich politisch und moralisch nur verurteilen kann.
Haben Sie Angst vor ihr?
Ich habe vor Sahra Wagenknecht nicht mehr Angst als vor anderen Frauen (lacht). Ich könnte jetzt versuchen, sie psychologisch ein bisschen zu analysieren, aber ich lasse das lieber bleiben.
Welche Konsequenzen hat Wagenknechts Austritt für Sie und die Linke?
Wir werden eine neue Rettungsaktion für die Partei starten.
Darin haben Sie ja schon eine gewisse Routine…
Ja, ich habe schon drei solche Aktionen durchgeführt. Die erste im Dezember 89, die zweite Anfang der 90er Jahre, als wir politisch-moralisch von unseren Gegnern ausgegrenzt wurden und die dritte, als wir mit falschen Steuerbescheiden ruiniert werden sollten. Jetzt haben sich offenbar ein paar Linke gedacht: Wenn es den Gegnern nicht gelingt, uns zu ruinieren, machen wir es eben selbst.
Wird die Wagenknecht-Partei erfolgreich sein?
Ich glaube nicht langfristig. Sahra will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik nach Ludwig Erhard und Sozialpolitik wie die Linken. Sie denkt, dass die Wählerinnen und Wähler sich addieren. Aber das funktioniert so nicht. Vielleicht kann Sahra damit noch bei der Europawahl und im nächsten Jahr in ein, zwei neuen Bundesländern erfolgreich sein. Aber ich glaube nicht, dass sie damit 2025 in den Bundestag kommt.
Ist die Gründung der Wagenknecht-Partei das Todesurteil für Die Linke?
Nein. So wie ich die Mitglieder meiner Partei kenne, wird es die Leidenschaft zu kämpfen neu entfachen, auch wenn es natürlich anstrengend wird. Aber die Partei wird dann wieder enger zusammenrücken.
Herr Gysi, wer wird länger leben: Sie oder die Linke?
Na, zweifellos die Linke! Ich bin ja schon 75. Also hören Sie mal!
Wer soll die Linke retten, wenn Sie es nicht mehr können?
Ich mache das ja nicht allein. Ich werde unter anderem von den Parteivorsitzenden und dem Bundesgeschäftsführer sowie Dietmar Bartsch und Jan Korte unterstützt. Aber es freut mich natürlich auch, dass ich ein bisschen gewichtig dabei bin. Wer ist schon gerne ungewichtig?
Interview: Philipp Hedemann