München – Dass er die Frage als Zumutung empfindet, muss Gregor Gysi nicht eigens betonen. Ob er jetzt ins Team Wagenknecht wechsle, will die Moderatorin wissen. „Mein Gott“, sagt der 75-Jährige. „In meinem hohen Alter wechsle ich doch nicht mehr die Partei. Im Gegenteil.“ Immer wieder hätten Gegner versucht, die Linke zu zerstören, ohne Erfolg. Jetzt versuchten es „ein paar Linke“ selbst. Dagegen werde er sich wehren.
Es ist wohl der Mut der Verzweiflung, der da aus Gysi spricht. Lange versuchte er, Sahra Wagenknecht in persönlichen Gesprächen von ihren Spaltungsplänen abzubringen – es gelang nicht. Heute wird die Noch-Linke ihren neuen Verein vorstellen, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), der als Vorstufe zu einer neuen Partei gilt. Gerade für die Linke dürften schwere Zeiten anbrechen.
Da ist einmal die Bundestagsfraktion, an deren Zukunft nicht mal mehr Fraktionschef Dietmar Bartsch glaubt. „Ich rechne damit, dass wir den Fraktionsstatus im Januar verlieren werden, wenn die neue Partei real gegründet wird“, sagte er dem „Tagesspiegel“. Dazu reicht es schon, wenn sich zwei der 38 Abgeordneten Wagenknecht anschließen. Die verbleibenden Abgeordneten könnten dann eine Gruppe ohne Fraktionsstatus bilden, hätten aber weniger Geld zur Verfügung. Damit sind die Jobs von 108 Mitarbeitern in Gefahr.
Und dann ist da die Partei, die gegen Wagenknecht-Anhänger hart durchgreifen will. „Es ist doch klar, dass die, die sich an der Bildung einer Konkurrenzpartei beteiligen, in unserer Partei nichts mehr zu suchen haben und rausfliegen werden“, sagte Linken-Chef Martin Schirdewan am Sonntag in „Berlin direkt“. Laut ARD sollen gegen alle BSW-Beteiligten Parteiausschlussverfahren angestrengt werden.
Wagenknecht selbst hatte lange gezögert, den Schritt zu gehen. Wohl nicht aus Hemmungen den alten Genossen gegenüber, sondern weil der Aufbau einer neuen Organisation mit vielen Komplikationen verbunden ist. Einige Mitstreiter werden heute mit ihr auf der Bühne in Berlin sitzen, darunter die noch amtierende Co-Vorsitzende der Linksfraktion Amira Mohamed Ali und der Abgeordnete Christian Leye. Auch der frühere Parteichef Klaus Ernst gilt als Wagenknecht-Unterstützer.
Wofür das neue Bündnis stehen soll, ist noch nicht ganz klar. Wagenknechts Positionen zu wichtigen Themen wie der Ukraine-Politik, den Russland-Sanktionen oder dem Klima sind allerdings gut bekannt. Vor allem plädiert sie für eine Begrenzung der Migration. Die Schnittmengen mit der AfD sind offenkundig – Wagenknecht selbst sagt, sie wolle jenen, die aus Verzweiflung AfD wählten, eine neue Heimat geben. In der AfD sind deshalb einige nervös. Parteichefin Alice Weidel sagte zuletzt, eine neue Partei werde das „regierungskritische Lager“ spalten. Wagenknecht sei deshalb „eine willige Erfüllungsgehilfin für die Ampel“.
Nicht ganz ohne Ironie ist, dass nun ausgerechnet jene Partei profitieren könnte, die einst durch die Gründung der Linken schwer litt: die SPD. Parteichef Lars Klingbeil macht heimatlosen Linken jedenfalls offensiv Avancen. „Ich werde jetzt keine Mitgliedsformulare in der Linkspartei verteilen“, sagte er der „Welt am Sonntag“. „Aber natürlich gilt: Wer sich für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität einsetzt und in unserem Land etwas bewegen will, ist in der SPD willkommen.“ Der Ex-Linke Thomas Lutze, der kürzlich erst zur SPD gewechselt war, rechnet mit weiteren Übertritten.
Die Situation mag düster sein, einige können ihr doch etwas Positives abgewinnen: Ex-Linke-Chef Bernd Riexinger sagte dem „Tagesspiegel“, das absehbare Ende der Fraktion sei bedauerlich: Als Gruppe könne man aber „endlich wieder geschlossen auftreten und uns durch unsere parlamentarische Arbeit hervortun und nicht durch die ewigen Streitereien“. mit dpa/afp