Die Linksfraktion zersplittert

von Redaktion

VON JÜRG RATZSCH UND KLAUS RIMPEL

Berlin – Es ist ein Auflauf, der sonst allenfalls einem Kanzler in der Berliner Bundespressekonferenz zuteilwird. Umlagert von dutzenden Kamerateams und Journalisten hat Sahra Wagenknecht am Montag mit mehreren Mitstreitern ihren Austritt aus der Linken bekannt gegeben und Pläne für die Gründung einer neuen Partei präsentiert. Die 38-köpfige Linksfraktion steht damit vor ihrer Auflösung, das Parteiensystem im Land franst aus.

Sie sei „überzeugt, so wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, sagte die 54-Jährige. „Sonst werden wir unser Land in zehn Jahren nicht wiedererkennen.“ Wagenknechts Leute, allesamt aus dem Westen, legten ein Papier mit Positionen zur Wirtschafts-, Sozial-, Außen-, Migrations- und Gesellschaftspolitik des neuen Vereins „Bündnis Sahra Wagenknecht“ vor. Die Gruppe ist gegen die Russland-Sanktionen. Ein Fokus liegt auf einer harten Linie zur Zuwanderung: „Migration ist nicht die Lösung für das Problem der Armut auf unserer Welt.“ Zuzug dürfe ein Land nicht überfordern. Der Verein soll die Parteigründung, geplant für Januar, vorbereiten und Spenden einsammeln.

Die neue Partei soll zur Europawahl im Juni 2024 antreten – und bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In den drei Bundesländern lag die AfD zuletzt in Umfragen vorn. Eine YouGov-Umfrage hatte im September gezeigt, dass sich im Osten fast jeder Dritte zumindest theoretisch vorstellen könnte, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Brandenburgs AfD-Chefin Birgit Bessin beklagt, Wagenknecht setze auf eine Spaltung der Opposition.

Mit der AfD werde man keine gemeinsame Sache machen, kontert Wagenknecht. Man bringe eine Partei an den Start, damit jene eine „seriöse Adresse“ hätten, die auch aus Wut, aber nicht, weil sie rechts seien, darüber nachdächten, AfD zu wählen. In den ARD-Tagesthemen sagte sie, eine Parteigründung berge auch Risiken. Man müsse zum Beispiel darauf achten, „Spinner und Extremisten“ draußen zu halten. „Das ist für eine junge Partei ein echtes Problem.“

Der Schritt wirbelt die Parteienlandschaft durcheinander und sprengt die Linksfraktion im Bundestag. Die bisherige Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali und acht weitere Abgeordnete gehen mit Wagenknecht. Alle traten am Montag aus der Linken aus, auch der Bayer Klaus Ernst. Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch nennt das „unverantwortlich und inakzeptabel“.

Nun beginnt ein Machtkampf. Bis zur Parteigründung will die Zehner-Gruppe Teil der Linksfraktion bleiben. Die Fraktion werde darüber „souverän und in großer Ruhe entscheiden“, sagt Bartsch. Hintergrund: Schrumpft die Fraktion auf unter 37 Abgeordnete, verliert sie ihren Status als Fraktion und kann nur noch als „Gruppe“ weitermachen. Fraktionen haben mehr Rechte und bekommen öffentliche Mittel, zum Beispiel für Veranstaltungen und vor allem für Mitarbeiter. Die Linken-Spitze fürchtet, dass die abtrünnigen Wagenknecht-Leute keine Abgaben mehr entrichten, und fordern die zehn auf, ihre Mandate abzugeben. Dann würden von der Liste Politiker der Linkspartei nachrücken. Erzwingen kann den Mandatsverzicht allerdings niemand.

Der ungewöhnlichste Unterstützer von Wagenknechts Plänen ist übrigens der Unternehmer Ralph Suikat, der durch den Verkauf der Anteile an der IT-Firma STP Informationstechnologie, die Softwarelösungen für Juristen anbietet, zum Multi-Millionär wurde. Der 58-Jährige rief 2021 die Kampagne „Tax Me Now“ ins Leben, in der rund 60 Millionäre höhere Besteuerung von Erbschaften und Vermögen fordern. Zu Suikats Imperium gehört die vegane Supermarktkette Veganz und das auf klimaneutrale Sanierung von Häusern spezialisierte Unternehmen Ecoworks. Suikat ist nicht nur Geldgeber, sondern laut „Spiegel“ auch Organisator der neuen Partei: Der Wagenknecht-Verein BSW hat seinen Sitz in Karlsruhe, dem Geburts- und Wirkungsort von Suikat.

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