Bozen – Am Tag nach der Wahl steht der erdverwurzelte Landeshauptmann vor einer Kamera und weiß seine Lage nur noch mit der griechischen Mythologie zu erklären. „Es wird eine Sisyphos-Aufgabe werden“, sagt Arno Kompatscher, „eine stabile Regierungsmehrheit zusammenzustellen“. Sisyphos, das war der arme Tropf, der einen Felsblock den Berg rauf rollen sollte, immer wieder.
Weniger prosaisch: Kompatscher (52) ist als Regierungschef in Südtirol mit seiner seit Ewigkeiten regierenden Volkspartei SVP auf ein historisches Tief gestürzt. Er muss sich nun mehrere Koalitionspartner suchen, um im Amt zu bleiben. 34,5 Prozent, so wenig wie noch nie, holte seine Partei in der großteils deutschsprachigen Provinz im Norden Italiens, ein Minus von sieben Punkten.
Einer der großen Gewinner ist die Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Die Rechtsnationalisten hüpfen von 1,7 auf 6 Prozent. Damit haben sie gute Aussichten, künftig auch in Bozen in der neunköpfigen Regierung dabei zu sein. Aufgrund des Autonomiestatuts in Südtirol, wo Deutsch wie Italienisch offizielle Amtssprache ist, muss stets auch mindestens eine Partei des italienischen Bevölkerungsteils in der Regierung vertreten sein.
Aber weil das noch nicht reicht, sind weitere Partner nötig. Zwölf Parteien sind im 35 Mandate kleinen Landtag gelandet, davon fünf mit einem einzigen Abgeordneten. „Eine Zersplitterung“ sieht Kompatscher, und eine „Stärkung der Extrempositionen“. Dennoch will er mit allen reden. Für die rechte Partei Lega – bislang einziger Koalitionspartner der SVP – ging es von 11,6 auf 3,1 Prozent nach unten, es würde also nicht mal für ein Dreierbündnis mit SVP und Fratelli reichen.
Auf Platz zwei landete wieder die bislang schon stärkste Oppositionspartei Team K, gegründet von einem Ableger der linkspopulistischen „Fünf Sterne“, mit 11,1 Prozent. Die deutschsprachige Rechtspartei Süd-Tiroler Freiheit (10,9 Prozent) nahm zu. Ihr Wahlkampf war diesmal nicht so sehr vom Einsatz für die Loslösung von Italien geprägt, sondern stark von den Themen Migration und Sicherheit. Kritiker sagen, die SVP ging zu wenig darauf ein.
Allerdings legten auch die Grünen auf 9,1 Prozent zu. Ein Bündnis mit ihnen ist denkbar, berichtet der staatliche ORF. Der Sender zitiert allerdings den Südtiroler Politologen Günther Pallaver mit einer Skepis: „Wie die SVP eine Koalition zusammenbringen soll, weiß ich nicht.“
Dass Kompatscher stürzt, ist unwahrscheinlich. Er betont seinen „klaren Regierungsauftrag“, hat persönlich nach fast zehn Jahren im Amt bei den „Vorzugsstimmen“ ein starkes Ergebnis. Für seine Partei ist es dennoch ein finsterer Wahlabend. Manches erinnert an die CSU in Bayern, die politisch ungefähr ähnlich beheimatet ist und ähnlich auf Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit pocht: Auch die SVP regiert seit Jahrzehnten das prosperierende Land, früher stets mit absoluter Mehrheit. Auch für die SVP geht es seit Jahren stetig bergab. Kompatscher sagt am Tag nach der Wahl, der Trend gegen die Volksparteien zeige sich in ganz Europa. Es gebe den „allgemeinen Trend, dass Regierungen abgestraft werden. Uns ist es nicht anders gegangen.“ Intern kamen bei der SVP zudem vor dem Wahlkampf Streitereien hinzu, ein gefeuerter Minister spaltete sich mit einer Liste ab.
In den Reihen der SVP schnitt ein Bruder von Bergsteiger-Legende Reinhold Messner auffällig gut ab, der Arzt Hubert Messner. Als Quereinsteiger holt er nach Kompatscher die meisten persönlichen Stimmen. (mit dpa)
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER