München – Die SPD hat es eilig. Erst am Wochenende wurde Kanzler Olaf Scholz ungewohnt deutlich. „Wir müssen mehr und schneller abschieben“, erklärt er in einem „Spiegel“-Interview. Damit hat der Kanzler das Thema Migration zur Chefsache gemacht – von höchster Priorität. Hinterher eilt SPD-Innenministerin Nancy Faeser, die ihr Gesetzespaket für mehr und schnellere Rückführungen heute dem Kabinett zur Abstimmung vorlegt.
Unbeeindruckt davon zeigt sich dagegen die Union. Der CDU-Politiker Jens Spahn kritisiert vor allem den Fokus, den die Ampel-Koalition in ihrer Migrationspolitik setzt. „Der entscheidende Schlüssel ist nicht die Rückführung, sondern die Begrenzung irregulärer Migration“, sagt Spahn dem Nachrichtenportal „The Pioneer“. Und diese Begrenzung soll laut Spahn an den EU-Außengrenzen stattfinden. Er selbst geht davon aus, dass es diese Übergänge irgendwann gar nicht mehr geben wird. „Die Grenze wird früher oder später geschlossen“, sagt Spahn. „Ob in fünf oder in 15 Jahren, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es wird passieren.“
Noch sind die EU-Außengrenzen aber geöffnet. Gegebenenfalls müsse man dort „mit physischer Gewalt irreguläre Migrationsbewegungen aufhalten“, rät der Christdemokrat deswegen. Dafür hagelt es Kritik. Der deutsche EU-Abgeordnete Erik Marquardt (Grüne) sieht den Vorschlag „natürlich nicht rechtsstaatlich umsetzbar“, wie er auf der Nachrichtenplattform X, ehemals Twitter schreibt. In der Praxis hieße das: „Menschen werden ohne Registrierung und Prüfung ihres Asylantrags weggeprügelt“, warnt Marquardt. Teile der Grünen hadern ohnehin mit der angekündigten Verschärfung des Migrationskurses.
Doch dem Kanzler ist es ernst. So ernst, dass er sogar die Union mit ins Boot holen will. Dafür hat Scholz einen Brief an den Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) verfasst – mit der Bitte um Unterstützung. Konkret geht es dem Kanzler um den heutigen Kabinettsbeschluss. „Das Vorhaben ist zuvor intensiv mit den Ländern beraten worden“, zitiert die „Rheinische Post“ aus dem Schreiben. Deshalb würde „ich mich freuen, wenn der Gesetzentwurf nicht nur die Zustimmung der CDU-geführten Landesregierungen, sondern auch Ihrer Fraktion erfahren würde und wir das Gesetzgebungsverfahren noch in diesem Jahr gemeinsam zum Abschluss bringen könnten“, schreibt Scholz.
Für ihn sei es „sehr wichtig“, dass Bund und Länder bei dem bevorstehenden Spitzentreffen am 6. November „zu konkreten Verabredungen“ in der Migrationspolitik kommen, betonte der Kanzler. Das gemeinsame Papier der Länderchefs von ihrem Treffen Mitte Oktober biete „einen guten Anknüpfungspunkt dafür“.
Auch der Migrationsexperte Gerald Knaus setzt eine Zielmarke bis Ende dieses Jahres. Bis dahin sollen Beschlüsse zur Eindämmung der irregulären Migration gefasst werden, die dann tatsächlich zu einem Rückgang führen. Von Faesers Plänen erwartet Knaus aber nicht die große Wende. „Man redet viel über Migration, man klagt viel, aber dann ändert sich nichts“, kritisiert Knaus gegenüber dem „Tagesspiegel“. Vor allem aber brauche es Tempo, weil im Juni 2024 in Deutschland die Europawahl anstehe. Und schaffe es die Ampel-Regierung bis dahin nicht, das Ruder rumzureißen, könnte laut Knaus vor allem eine Partei profitieren: die AfD.
L. HUDELMAIER (mit dpa, afp)