München – Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn versuchte es zu Anfang dieser Woche mit einem Wortspiel. Die EU sei im Nahost-Konflikt „kein Player, sondern ein Payer“. Kein Spieler also, der bei der Entscheidungsfindung von Israelis oder Palästinensern viel zu sagen hätte. Sondern nur der Zahlmeister, der den Laden am Laufen hält.
Das Thema Geld dürfte deshalb ab morgen beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel eine zentrale Rolle spielen. Die EU ist in der Nahost-Frage durchaus gespalten. Belgien, Luxemburg, Irland und mehrere nordische Staaten stehen traditionell den Palästinensern nahe – Deutschland, Ungarn und Österreich sind aufseiten Israels. Die EU-Außenminister konnten sich zu Beginn der Woche nicht mal darauf einigen, ob im Nahost-Krieg eine humanitäre Feuerpause gefordert werden soll.
Als „Payer“ aber, wie es Asselborn nennt, ist Brüssel nicht zu unterschätzen. „Wir als Europäer sind der größte Geldgeber für die Palästinensischen Gebiete, wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Lehrer bezahlt, die Krankenschwestern bezahlt, die Ärzte bezahlt“, sagte der CSU-Europapolitiker Manfred Weber gestern im Deutschlandfunk. „Wir haben den Staat, die Palästinensischen Gebiete, am Laufen gehalten, um einen Beitrag zur Aussöhnung und zum Frieden zu leisten.“ Und falls nötig, sei man auch bereit, die Zahlungen zu erhöhen.
Deutschland übernimmt, wie immer, den Löwenanteil: 340 Millionen Euro schickte die Bundesregierung 2021/22 an Hilfszahlungen in die Palästinensischen Gebiete. Die EU leistet Direktzahlungen an die Autonomiebehörde, aus denen diese dann Gehälter und Sozialleistungen bestreitet. Auch über das UN-Flüchtlingshilfswerk fließt ein großer Teil, das Schulbildung und Gesundheitsversorgung der Palästinenser organisiert. Wie wichtig solche Unterstützung ist, zeigt eine simple Zahl: Rund 80 Prozent der Menschen im Gazastreifen sind direkt von Lebensmittelhilfen abhängig. Angesichts der chaotischen Lage dürfte die Zahl derzeit sogar noch steigen.
Schon länger gab es Einwände gegen die Finanzpraxis der EU – mit den Hamas-Anschlägen sind sie weiter gewachsen. Natürlich bekommt die Hamas direkt kein Geld, sie wurde 2007 von allen EU-Staaten als Terrororganisation eingestuft. Doch immer wieder gibt es Vorwürfe, Gelder oder auch (Bau-)Materialien würden abgezweigt werden. Dagegen berichten Insider, Personen und Organisationen würden in der Regel sorgfältigst durchleuchtet. Manfred Weber sagt, notfalls müsse man die „mühsame Aufgabe“ auf sich nehmen, die Zahlungsströme noch genauer zu überprüfen. „Aber es darf keinen Reflex geben, die Mittel zu kürzen. Damit würden wir den Flächenbrand eher noch verstärken.“ Wichtig sei das Signal, es gebe einen Krieg gegen die Hamas – aber nicht gegen die Palästinenser.
Trotzdem wird sich die EU mittelfristig Fragen stellen müssen. Mahmoud Abbas, als Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde erster Ansprechpartner, ist inzwischen 87 Jahre alt. Gewählt wurde zuletzt 2006 – seit 2009 führt er die Behörde ohne demokratische Legitimierung. 14 Jahre! Immer wieder gibt es Vorwürfe wegen Korruption. Die Frage lautet also: Ist die Autonomiebehörde noch der richtige Ansprechpartner? Und falls nein: Mit wem könnten EU und Vereinte Nationen stattdessen zusammenarbeiten?
Fast vergessen ist in unserer schnelllebigen Zeit jedenfalls ein Auftritt von Abbas im August vergangenen Jahres in Berlin. Der Palästinenserpräsident stand neben Bundeskanzler Olaf Scholz, als er gefragt wurde, ob er sich zum 50. Jahrestag des von palästinensischen Terroristen verübten Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München entschuldigen werde. Abbas ging direkt zum Gegenangriff über: „Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen“, schimpfte er und schob nach: „50 Massaker, 50 Holocausts.“
Scholz schwieg verdutzt, was ihm danach vorgeworfen wurde. Heute wäre er besser auf Abbas vorbereitet.