Ein Kuhhandel soll Frieden stiften

von Redaktion

VON MIKE SCHIER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Als sie endlich gemeinsam für die Kameras posieren, lässt Hubert Aiwanger erst einmal das Papier mit den frischen Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag fallen. Markus Söder schaut belustigt und macht eine Handbewegung, als sei Aiwanger nervös. Für weitere Scherze ist kein Platz, zu ernst waren die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen. Jetzt soll ein Bild der Geschlossenheit stehen: stille Verhandlungen ohne öffentliche Störgeräusche, Einigung in Rekordzeit. Die Botschaft formuliert Markus Söder: „Wir haben neues Vertrauen zueinander gefasst.“

Nach diesen Wochen des Streits müssen die Koalitionäre eine Menge unter den Tisch fallen lassen. Dass das gelingt, liegt vor allem an der letzten Sitzung der obersten Verhandlungsführer am Mittwoch. In einer sechsstündigen Runde in der Staatskanzlei packen Söder, Aiwanger und ihre Fraktionschefs einen großen Kuhhandel an: Sie verteilen die Posten und schneiden die Ressorts so neu zu, dass am Ende keine Seite ihr Gesicht verliert.

Die Lage war ja verzwickt: Ursprünglich verlangte der langjährige Landwirt und Jäger Aiwanger das Landwirtschaftsressort für die Freien Wähler – womöglich gar für sich selbst. Söder wollte das um jeden Preis verhindern, legte sich öffentlich fest. Seine Sorge war, Aiwanger könne sich nach niederländischem Vorbild als großer Bauernführer bundesweit inszenieren, Blick auf die kommenden Wahlen in Europa 2024 und Bund 2025.

Die Lösung: Ganze Referate der Ministerien gehen auf Wanderschaft. Zu Aiwangers Wirtschaftsressort kommen Jagdrecht und die Aufsicht über die Staatsforsten. Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU), die ihm in tiefer Abneigung verbunden ist, bekommt dafür seine Abteilung für Tourismus, Hotels und Gastronomie; aus dem Umweltressort außerdem die Veterinärkontrolle. Eine „kleine Leitökonomie“ sei das, macht Söder der CSU den Gastro-Deal schmackhaft. Es geht um eine Branche mit 34 Milliarden Euro Wertschöpfung, Kaniber, Wirtstochter aus einer Tourismusregion, wird gut damit leben können.

Für Aiwanger, der sonst für Dax-Konzerne, Start-ups und Zukunftstechnologien zuständig ist, bedeutet das, er wird sich fortan auch um Staatsforst und Jagd kümmern. Der Zuschnitt entspricht exakt seinen persönlichen Interessensgebieten. Er sieht eine Richtungsentscheidung: „Wir wollen nicht, dass die Waldbewirtschaftung in ein grünes Fahrwasser kommt“, sagt der neue Wald- und Wirtschaftsminister. Es sei nicht verboten, mit Forstwirtschaft auch Geld zu verdienen. Bayerische Wälder seien „keine Spielwiese für Stilllegungen“. Forderungen nach einem dritten Nationalpark erteile er „eine klare Absage“. Die Staatsforsten müssten personell gestärkt werden, findet der Minister.

Aiwanger kann auch dem Abgang seiner Tourismus-Abteilung etwas abgewinnen. „Wir sehen für unsere Landwirte, die ja zunehmend unter Druck kommen, auch das Thema Tourismus als große Chance“, sagt er. Auch in Österreich sei das Thema im Agrarressort angesiedelt.

Hilft der Kuhhandel, die Koalition zu beruhigen? In der CSU wird auf das Gesamtpaket verwiesen: nur ein kleines Digitalministerium für die Freien Wähler; ein FW-Kultus-Staatssekretär gestrichen, dafür ein neuer Staatssekretär fürs CSU-geführte Finanzministerium. „Das ist keine Liebesheirat, keine Kuschelkoalition“, sagt Söder, aber verlässlich arbeiten könne man nun. Und Aiwanger antwortet auf die Frage, ob diese Harmonie dauerhaft Bestand haben werde, niederbayerisch ehrlich: „Man weiß nie, was die Zukunft bringt.“

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