Neue Phase im Krieg gegen die Hamas

von Redaktion

VON SARA LEMEL

Tel Aviv – Erstmals seit einem Jahrzehnt sind israelische Panzer wieder im Gazastreifen im Einsatz. Aktuelle Videos der Armee zeigen gepanzerte Fahrzeuge, die im Norden des Küstenstreifens über sandigen Boden rollen. Daneben laufen Soldaten in Schutzausrüstung mit großen Rucksäcken und Sturmgewehren. Nach dreiwöchigen massiven Luftangriffen in dem dicht besiedelten Gebiet spricht Regierungschef Benjamin Netanjahu nun mit Ausweitung der Bodeneinsätze von der „zweiten Phase“ des Kriegs. Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas im Gazastreifen zu zerstören, ihre Herrschaft zu beenden sowie die mindestens 230 Geiseln zurück nach Hause zu bringen.

Nach dem schlimmsten Massaker in der Geschichte Israels, das die Hamas am 7. Oktober im Grenzgebiet angerichtet hatte, sind die Soldaten nach Angaben des Militärs „entschlossen und hoch motiviert“. Generalstabschef Herzi Halevi sagte, man werde „niemals die Kinder vergessen, die ermordet wurden“. Man nehme die Gräuelbilder „mit auf das Schlachtfeld“.

Nach Ansicht eines israelischen Sicherheitsexperten steht der Armee ein langer, intensiver Konflikt bevor. „Es wird kein Blitzkrieg und kein Sechstagekrieg sein“, sagt Amos Jadlin, ehemaliger Chef des israelischen Militärgeheimdienstes. Die Armee werde „Meter für Meter“ vorangehen, um zivile Opfer zu verringern und „so viele Hamas-Terroristen wie möglich zu töten“. Die meisten Gegner würden dabei in Tunnel oder die „unterirdische Stadt“ der Hamas fliehen, erwartet Jadlin, Ex-Leiter des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv. „Die Herausforderung wird es sein, die Tunnel zu zerstören oder sie herauszubekommen – mithilfe der einen oder anderen Technik.“

Die größte Einschränkung seien dabei die Geiseln, sagt Jadlin. Angesichts der hohen Opferzahlen unter der palästinensischen Bevölkerung wächst jedoch auch der Druck auf Israel, einer Waffenruhe zuzustimmen.

Jadlin denkt, dass auch der Hamas-Chef Jihia al-Sinwar unter Druck seiner eigenen Leute steht, „die sagen, wir sind zu weit gegangen, es ist an der Zeit zu stoppen“. Sie drängten zu einem Gefangenenaustausch mit Israel, „sonst sieht Gaza bald aus wie Dresden (nach dem Zweiten Weltkrieg)“. Sinwar behauptete am Samstag, die Palästinenserorganisation sei bereit, ein Abkommen über einen Gefangenenaustausch sofort abzuschließen.

Die Familien der israelischen Geiseln, die Netanjahu am Samstag zum ersten Mal getroffen hat, fordern ebenfalls einen sofortigen Deal zur Freilassung ihrer Liebsten. Die Zahl der bekannten Geiseln steigt. Man habe bis Sonntag die Familien von 239 Entführten informiert, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Das sind neun mehr als am Vortag.

Am Sonntag teilte die Armee mit, dass sie in den vergangenen 24 Stunden weitere 450 Hamas-Ziele getroffen habe und ihre Bodentruppen im Gazastreifen „schrittweise“ verstärke. Unterdessen halten sich im Umkreis des Schifa-Krankenhauses in Gaza, das nach israelischer Darstellung auch als Hamas-Kommandozentrum dient, nach TV-Berichten weiterhin tausende Zivilisten auf. Die Menschen verblieben im Bereich der größten Klinik des Gazastreifens, die sie offenbar als Zufluchtsort ansehen.

Die israelische Armee rief die Zivilbevölkerung im Norden des Gazastreifens erneut auf, sich in Richtung Süden zu begeben. Dort könnten die Menschen „Wasser, Lebensmittel und Medikamente erhalten“, erklärte Hagari. Er kündigte zudem für Sonntag eine Ausweitung der „von Ägypten und den USA geleiteten humanitären Einsätze für den Gazastreifen“ an.

Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) warnte vor einem Zusammenbruch der zivilen Ordnung im Gazastreifen. Mehl und andere grundlegende Dinge seien von Einwohnern aus mehreren Lagerhäusern geholt worden, sagte der UNRWA-Chef für den Gazastreifen, Thomas White. Dies sei „ein Besorgnis erregendes Zeichen dafür, dass die zivile Ordnung nach drei Wochen Krieg und enger Abriegelung beginnt zu zerfallen“.

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