VON GEORG ANASTASIADIS
In den tückischen Strudeln der Ampelpolitik ergeht es dem FDP-Steuermann Christian Lindner gerade wie dem antiken Seefahrer Odysseus. Der hatte beim Durchfahren der Meerenge von Messina die Wahl zwischen zwei gleichermaßen tödlichen Ungeheuern: Auf der einen Seite hauste in einer Felshöhle die sechsköpfige Skylla mit ihrem schrecklichen Gebiss, auf der anderen Seite lauerte das Ungetüm Charybdis auf Vorbeifahrende, um sie mit Haut und Haar zu verschlingen. Für den listigen Odysseus ging die Sache gut aus. Ob es für Lindner auch so glücklich endet? Gleich ob der FDP-Chef die ungeliebte Ampel platzen lässt oder, um im Bild zu bleiben, mit den grünen und roten Ampelmonstern zu Ende regiert: Es könnte böse ausgehen für ihn und seine Liberalen.
Jüngste Äußerungen lassen darauf schließen, dass der Chef-Liberale sich gedanklich gerade intensiv mit möglichen Ausstiegsszenarien befasst. Das ist auch dringend angezeigt angesichts des in immer neue demoskopische Tiefen vordringenden Ansehens der Ampel und der wachsenden Unruhe in der Partei. Klar ist: Falls Lindner nach Jamaika auch die Ampel versenkt und stattdessen zum Geburtshelfer einer neuen Groko wird, braucht er dafür hieb- und stichfest Gründe. Die lassen sich, auch wenn die Ampelkoalitionäre praktisch auf allen Themenfeldern streiten, am leichtesten in der Asylpolitik finden. Ausgerechnet CSU-Chef Söder hat für Lindner die Tür für einen Ausweg einen Spalt breit geöffnet: Wenn die Union für eine Große Koalition bereitsteht, müsste sich die FDP zumindest nicht vorwerfen lassen, das Land unregierbar zu machen, wenn sie die ungeliebte Ampel verlässt.
Wie’s geht, kann sich Lindner von seinem Ahnherrn Hans-Dietrich Genscher abschauen: Der hielt 1982 dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt ein so gepfeffertes Wirtschaftsreformpapier unter die Nase, dass der gar nicht mehr anders konnte, als die sozialliberale Koalition aufzukündigen. Der am Montag anstehende Asylgipfel und die daraus resultierenden Debatten mit den Grünen dürften spannend werden.
Georg.Anastasiadis@ovb.net