Es gibt Situationen, in denen berechtigter Zorn zurückstehen muss. Jetzt ist so ein Zeitpunkt. JU-Chef Johannes Winkel sagt, wenn Deutschland „noch etwas Selbstachtung hat“, müsse man Erdogan ausladen. Viele Politiker fordern das. Man dürfe dem türkischen Präsidenten und seiner Hetze keine Bühne in Berlin bieten. Das ist vollkommen nachvollziehbar. Aber es geht gerade nicht um ein Nein aus Prinzip – sondern um Menschenleben.
Es steht absolut außer Frage, dass der Westen Erdogans Zündelei geschlossen verurteilen muss. Langfristig müssen die Nato-Staaten dringend überdenken, wie sie mit einem Partner umgehen, der die Hamas-Terroristen zu Freiheitskämpfern erklärt. Jetzt braucht es aber Akutlösungen, um einen Flächenbrand in Nahost zu verhindern. Die Türkei ist dort ein politisches Schwergewicht. Und Erdogan würde sich allzu gern in der Rolle eines Vermittlers sehen. Das muss die Bundesregierung nutzen.
Reisen und Besuche erschöpfen sich nicht darin, sich gegenseitig rote Teppiche auszurollen. Sie sind Element eines funktionierenden Dialogs, das einzige Werkzeug zur Deeskalation: Verhandeln, bevor es zu spät ist. Gesprächsverweigerungen und Ausladungen verhärten die Fronten – und sind ein Eingeständnis, dass diplomatische Bemühungen gescheitert sind.
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