WIE ICH ES SEHE

Tod und Leben im November

von Redaktion

Ein alter Freund von mir hat gerade seine sehr geliebte Frau verloren: „Ein einziger Mensch fehlt, und alle Welt ist leer“, schreibt er mir dazu zum Allerheiligen-Tag dieser Woche. Das sei von Alphonse de Lamartine und besser könne man nicht ausdrücken, wie es ihm geht. Allerheiligen, Allerseelen und der kommende Totensonntag, an dem die evangelischen Christen der Toten des letzten Jahres gedenken, sind ja der Auftakt für den „Totenmonat“ November. Daraus ist der Besuch der Gräber und das Treffen auf den Friedhöfen geworden, von manchen leicht spöttisch auch die jährliche „Gräber-Rallye“ genannt.

Mein Freund wird das kaum so leicht sehen können. Aber Grabpflege und Grabbesuch, wie Begegnungen auf den Friedhöfen, können doch auch eine therapeutische Wirkung haben. Trauer ist eine Familienangelegenheit und mit anderen geteilte Trauer ist leichter zu ertragen.

Abschiednehmen ist Menschenschicksal und Menschenleid. Memento mori – die Klage über die Bedrohtheit und Begrenztheit der menschlichen Existenz durchdringt die Jahrtausende. Aber schon Hiob, der nicht nur allen Besitz, sondern auch alle Töchter und Söhne verloren hatte, findet die ungeheure Gottergebenheit zu sagen: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.“ Und König David in Jerusalem, als bedeutendster Psalmist überhaupt, hat die Größe, im 90. Psalm etwas auszusprechen, das über den Tod hinausweist in das Leben: „Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub und sprichst: Kommt wieder, ihr Menschen.“

Martin Luther in seiner deutlichen Sprache hat das ausgelegt und erklärt mit dem Satz: „Mitten im Tode sind wir im Leben.“ Damit ergänzt er das, was er auch gesagt hat: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen.“ Beides also ist gleich wahr.

In einem knappen Kirchenlied von nur sechs Zeilen hat der katholische Seelsorger Zenetti diese Umkehr vom Tod in das Leben in den Worten unserer Zeit ausgedrückt: „Wir sind mitten im Leben zum Sterben bestimmt; Was da steht, das wird fallen. Der Herr gibt und nimmt. Wir gehören für immer dem Herrn, der uns liebt; Was auch soll uns geschehen, er nimmt und er gibt. Wir sind mitten im Sterben zum Leben bestimmt; Was da fällt, soll entstehen. Er gibt, wenn er nimmt.“

Ob diese Gedanken über Tod und Leben meinem trauernden Freund Trost spenden können? Sicher wird er in diesen Wochen, wie so viele von uns, seinen Friedhof besuchen. Aber die tiefe Frömmigkeit durch die Jahrtausende von Hiob und David über Luther zu Zenetti, wie Tod und Leben in Gottes Hand verbunden sind, ist uns doch fern gerückt. Jetzt im November ist eine gute Zeit, wieder daran zu erinnern. Auch an das Weizenkorn, das stirbt, wenn es in die Erde fällt, das aber doch reiche Frucht bringt.

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VON DIRK IPPEN

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