München – 300 Flüchtlinge kommen täglich nach Oberbayern. Tendenz steigend. Diese Zahl nannte kürzlich Christoph Göbel (CSU), Landrat für den Kreis München. Die Aufnahmekapazitäten sind in vielen Gemeinden erreicht. Die Belegung von Turnhallen gilt als letztes Tabu, das aber jetzt in immer mehr Orten zu fallen droht.
Zum Beispiel in Reichling im Kreis Landsberg am Lech. Bislang leben vier Geflüchtete in dem 1700-Einwohner-Ort. Die Sorge, dass die Sporthalle jetzt beschlagnahmt und als Unterkunft hergerichtet werden soll, ist groß. 450 Einwohner kamen diese Woche zu einer emotionsgeladenen Bürgerversammlung. „Ich habe vier Jahre gegen den Krebs gekämpft. Mit derselben Energie werde ich auch für das Dorfgemeinschaftshaus kämpfen“, sagte Stephan Germershausen, Vorsitzender des Sportvereins SV Reichling, bei der Infoveranstaltung. Auch in Wolfratshausen wird der Protest wegen der seit Frühjahr 2022 belegten Turnhalle immer lauter. Dort hatten die Sportler vor Kurzem eine Demo durch die Stadt organisiert.
Einige Landräte schaffen es trotz den hohen Drucks noch immer, die Turnhallen freizuhalten. Zum Beispiel Robert Niedergesäß (CSU) in Ebersberg. In seinem Landkreis gibt es allerdings ein leer stehendes Sparkassengebäude, in dem er 300 Geflüchtete unterbringen konnte. Und wie viele andere Landkreise erfüllt auch Ebersberg seine Aufnahmequote nicht vollständig. Freie Unterkünfte gibt es fast nirgendwo mehr. Auch, weil es oberbayernweit 9900 Fehlbeleger gibt. Das sind Flüchtlinge, die längst aus den Unterkünften ausziehen dürften, weil ihr Asylverfahren abgeschlossen ist – allerdings haben sie auf dem angespannten Wohnungsmarkt keine Chance.
Zu den Unterbringungsproblemen kommt der Ärger mit den Anwohnern hinzu. Er habe noch nie Zustimmung für eine Flüchtlingsunterkunft bekommen, bilanzierte Martin Bayerstorfer (CSU), Landrat im Kreis Erding. „Wir haben 184 Standorte im Landkreis. Kein einziger passt.“ Die „Luxusdiskussionen“ seien vorbei. Gleiche Erfahrungen macht das Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen. „Größere Unterkünfte in den Gemeinden werden nicht akzeptiert“, sagte Sprecherin Marlis Peischer. Es werde alles unternommen, diese abzuwenden, ohne das wirkliche Lösungsansätze angeboten werden. Aus Sicht des Münchner Landrats Göbel wären das Traglufthallen. Sie könnten als „fliegende Bauten“ schneller genehmigt werden. Alles sei jedenfalls besser, als Turnhallen zu schließen, so Göbel.
In einigen Kommunen ist es vor wenigen Wochen zu den ersten Zwangszuweisungen gekommen, weil sie bisher gar keine Flüchtlinge aufgenommen hatten. Zum Beispiel im 1300-Einwohner-Ort Sachsenkam im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Es ging um acht Personen.
Holzkirchen hat sich längst darauf eingestellt, dass es mit kleinen Lösungen nicht weitergeht. Dort entsteht gerade ein Containerdorf für über 200 Menschen, auch ein neuer Asylhelferkreis wird gerade aufgebaut. In Garmisch-Partenkirchen wurde vor einem Monat das Posthotel, eine Vier-Sterne-Unterkunft mitten im Ortszentrum, mit 110 Ukrainern voll belegt. Diese Lösung hatte das Landratsamt zuvor abgelehnt. Aber jetzt gab es einfach keine Alternative mehr, so Landrat Anton Speer (Freie Wähler). „Die Flüchtlinge sind nicht das Problem“, sagte Bürgermeisterin Elisabeth Koch (CSU). „Es sind die Folgen, die uns als Kommune treffen.“ Der Aufwand für das Einwohnermeldeamt sei enorm. Zudem müsse die Kinderbetreuung massiv aufgestockt werden. Koch: „Da hilft uns keiner.“