München – Vielleicht war es der Tiefpunkt ihrer Karriere, als Melanie Huml nicht gefeuert wurde. August 2020, die Gesundheitsministerin hatte den Corona-Testskandal an den bayerischen Autobahnen politisch zu verantworten, da lud ihr Chef Markus Söder zu einer Pressekonferenz. Er teilte mit, die Ministerin nun doch nicht zu entlassen, sie solle gern selbst „die Scharte auswetzen“. Humls Wortbeitrag: „Ich bin dankbar.“ Man erlebe, so schrieb unsere Zeitung, „eine Ministerin, die wie ein ungezogenes Schulmädchen vorgeführt wird“.
Wer so was aufrecht durchstanden hat, kann all die weiteren Wirren, Spekulationen und Kämpfe, die so ein Amt mit sich bringt, gelassener betrachten. So hält das Huml, 48, auch, und dies seit geraumer Zeit. Die CSU-Politikerin ist eigentlich bei jeder Kabinettsbildung Gegenstand von Spekulationen. Seit Jahren heißt es jedes einzelne Mal, jetzt werde sie aber ganz gewiss ausgetauscht, in der nächsten Regierung sei echt kein Platz mehr. Seit eben so vielen Jahren ist sie stets wieder dabei. Mehr noch: Sie ist längst Bayerns dienstälteste Ministerin, seit 2007 im Amt, als der Ministerpräsident noch Beckstein hieß.
Man mag es kaum schreiben, aber wieder gilt: Wenn am Mittwochmittag Markus Söder seine neue Ministerriege vorlegt, ist Huml die größte Wackelkandidatin – und ebenso gut möglich ist, dass sie einfach im Amt bleibt. Inzwischen ist sie ja Europaministerin, irgendwann waren es einfach zu viele Aufgeregtheiten im Gesundheitsressort; aber die Argumente, sie abzulösen, sind nicht anders und nicht mehr geworden.
Für Huml sprechen zwei Proporzgründe. Sie ist Oberfränkin, eine an aufstrebenden CSU-Abgeordneten arme Region, die trotzdem immer mit am Kabinettstisch vertreten sein muss. Und sie ist eine Frau in dieser männerlastigen Partei. Eine, die sich auffallend wenig Feinde, aber auch nicht viele Freunde gemacht hat. Keine Hausmacht. Keine Job-Garantie vom Chef.
Wer mit Huml zu tun hat, erlebt eine sehr freundliche, verbindliche, zugewandte Politikerin. In ihrer Zeit als Pflegeministerin berichteten Verbände, der CSU nicht von Haus aus zugeneigt, wie sehr die junge gelernte Ärztin zuhöre, Empathie zeige. Anfängliche Herablassung, darunter der Spitzname „Biene Maja“ für freundliches Augenklimpern, verpuffte. Als junge Ministerin – die erste, die im Amt Mutter wurde –, sprach sie offen über diese Doppelrolle. Und ließ mal eine Kabinettssitzung unterbrechen, weil sie sich zum Stillen zurückzog. Vor zehn Jahren war so was eine Nachricht in Bayern. Und brachte ihr viel Sympathie ein.
Trotzdem werden ihr unverändert Schwächen nachgesagt. Im Gesundheitsressort galt als größtes Defizit ein hartes, enges Führen des Ministeriums, egal ob vor oder während der Pandemie. Jetzt als Europaministerin ist sie Teil der Staatskanzlei, der Führungsaufwand minimiert. Was auch hier bleibt, ist aber eine geringe Außenwirkung. Oder, freundlich gesagt, eine angenehme Zurückhaltung, sich nicht ins Rampenlicht zu schieben. Die wenigen tollen Termine, etwa der Start eines Bayern-Büros in London, um den Brexit-geplagten Briten die besten Köpfe abzuwerben, inszenierte sie nicht. Niemand bekam davon was mit.
Reicht das, zumal kurz vor einer Europawahl, die für die CSU auch wegen dünner Promi-Dichte schwierig wird? Will Söder Konstanz oder lieber mehr Wumms auf der Stelle? Braucht es den Ministerposten überhaupt? Gibt es einen neuen Anlauf, sie in die Bamberger Stadtpolitik zu verschieben? Huml macht nicht den Eindruck, davon sonderlich aufgewühlt zu sein. Sie warte das, so machte sie im August in einem TV-Interview deutlich, nach 16 Jahren im Kabinett „mit Dankbarkeit und Demut“ ab.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER