München/Berlin – Was hat der Kanzler nun genau gesagt? Wenn es spät ist, lässt das Erinnerungsvermögen ja manchmal nach. Und so gehen auch die Teilnehmer-Berichte auseinander, ob Olaf Scholz (SPD) NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in der nächtlichen Bund-Länder-Runde eine „Intrige“ oder nur eine „Volte“ gegen dessen eigenen Parteichef Friedrich Merz unterstellt hat. Doch so oder so – was Scholz meint, ist klar.
Erst am Freitag hatte der Kanzler noch gemeinsam mit Unions-Fraktionschef Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt über einen Deutschlandpakt in der Migrationspolitik verhandelt. Doch schon am Montag machten die Chefs der CSU- und CDU-geführten Länder klar, dass sie hierzu ihre ganz eigenen Vorstellungen haben. In der vorbereitenden Länderrunde forderten sie mit Unterstützung von Baden-Württembergs grünem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann die Durchführung von Asylverfahren in Drittstaaten – und stellten sich damit hinter einen Vorschlag von Wüst. Die SPD-Länder räumten den Vorstoß zunächst ab. Die Forderung der Unionsländer nach einer Bund-Länder-Kommission zur künftigen Ausgestaltung der Migrationspolitik schaffte es hingegen ins Länder-Papier – und animierte Scholz später zu seinen spitzen Bemerkungen. Denn der Kanzler wunderte sich offensichtlich, ob man ihm hier vorschreiben wolle, mit wem er auf Unionsseite zu verhandeln habe.
Und was sagt Merz dazu? „Das ist Unfug“, äußert sich der CDU-Chef am Dienstag laut „Bild“ zu der angeblichen Intrige (oder Volte) von Wüst. Beide treten gemeinsam auf, um die Beschlüsse des Vorabends als nicht ausreichend einzuordnen. Seinen Ärger richtet Merz auf den Kanzler, dem er mangelnde Kooperationsbereitschaft mit der Opposition vorwirft. „Damit ist das Thema Deutschlandpakt zum Thema Migration aus meiner Sicht erledigt“, sagt Merz.
Bekannt ist allerdings auch, dass das Verhältnis der Parteifreunde aus Nordrhein-Westfalen belastet ist. Der Grundkonflikt: Beide gelten als ziemlich ambitionierte Bewerber für die Kanzlerkandidatur der Union 2025. Im Sommer lieferten sie sich bereits einen Schlagabtausch. Damals brachte sich NRW-Ministerpräsident Wüst mit einem Gastbeitrag in der „FAZ“ ins Gespräch, ohne seinen Parteichef Friedrich Merz dabei zu erwähnen. Der reagierte mit Andeutungen über unzufriedene Wähler im gemeinsamen Bundesland.
Auch mit Scholz hat Wüst übrigens eine Vorgeschichte, die sich ebenfalls bei einer Bund-Länder-Runde zutrug. Anfang 2022 gerieten beide aneinander, als Wüst vor dem Hintergrund einer möglichen Corona-Impfpflicht „Tempo und Führung“ von Scholz einforderte. Der Kanzler soll nach der Sitzung gespottet haben, Wüst sei ein „Amateur im Ministerpräsidentenkostüm“. SEBASTIAN HORSCH