München – Die Begeisterung für die Europapolitik kann stark schwanken, Markus Söder weiß das allzu gut selbst. Als junger Europaminister ließ er sich 2007 von Nürnberger Schülern euphorisch eine riesige, bunte Karte der EU an die Bürowand malen. Als mitteljunger Finanzminister musste er dann mal in Brüssel Details der Landesbank-Rettung besprechen. Er wurde von nachgeordneten Bürokraten in einer besseren Besenkammer abgebürstet und belehrt, was die EU-Kommission zu entscheiden gedenke.
Riesenprojekt für Frieden und Wohlstand hier, Bürokratiemoloch mit Demokratiedefizit da – zwischen diesen Polen pendelt nicht nur Söders Europabild, viele Bayern denken so. Für die CSU ist das eine dicke Herausforderung: Sie muss sich vor der Europawahl im Juni 2024 für einen Kurs entscheiden. Söder deutet öfter an, wie bang ihm vor dem Urnengang ist. Die CSU müsse „klarer herausarbeiten, was unsere Kernkompetenz für Europa ist und warum es uns braucht“, sagt er.
Und das bald. Schon in zwei Wochen in Nürnberg reiht die CSU ihre (starre) Liste für die Europawahl. Neben dem Personal muss das Programm festgezurrt werden. Es wirkt so, als sei Söder mit allem nicht recht glücklich.
Die Lage für die CSU ist schwierig. Als Spitzenkandidatin der Konservativen ist die in Bayern nicht populäre Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65, CDU) ausgerufen (auch mit Söders Zutun). Zum Vergleich: 2014 mit dem beliebteren Niederbayern Manfred Weber als EU-weitem Spitzenkandidaten holte die CSU 40,7 Prozent und sechs Mandate. Wäre Weber jetzt EU-Kommissar, wäre die Lage besser.
Die politische Stimmung hat sich stattdessen weiter gedreht. Die AfD mit ihrer offen feindseligen Brüssel-Kritik ist stärker geworden als die 8,5 Prozent von 2019. Die Wählerschaft verändert sich noch dazu, die Ampel hat das Wahlalter für Europa auf 16 gesenkt. Daten der Jugendwahl legen nahe, dass in der Altersstufe 16 bis 18 die AfD mit all ihren Online-Kanälen rund 15 Prozent holt. Parallel planen die Freien Wähler einen schwungvollen EU-Wahlkampf; Parteichef Hubert Aiwanger kann scharfzüngig gegen Brüssel wettern. Er will mehr als die 5,3 Prozent vom letzten Mal. All das verheißt für die CSU wenig Gutes, EU-Wahlen werden gern mal für Denkzettel missbraucht.
Nur auf 27 Prozent taxiert die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) die Union aktuell mit Blick auf Europa. Eigene Daten für Bayern gibt es nicht. Nahe an 30 schätzen führende CSUler die eigenen Werte. Reicht das nur noch für vier, fünf Abgeordnete? Für die Liste hat deshalb schon ein Kampf begonnen. Weber ist, obwohl alles andere als Söders bester Freund, auf Platz 1 unumstritten. Die Abgeordneten Angelika Niebler, Monika Hohlmeier, Markus Ferber und Christian Doleschal ringen aktuell um die weiteren Sitze, es knirscht, am Montag treffen sich Unterhändler in München. Söder würde wohl gern viel Erneuerung sehen auf dieser Liste.
Zumindest im eigenen Kabinett erzwingt er das. Der einzige neue Minister der Staatsregierung ist der für Europa. Eric Beißwenger (51), in innerparteilichen Kämpfen erprobt, wurde Nachfolger der als zu betulich empfundenen Melanie Huml. Beißwengers Aufgabe: schärfer auftreten gegenüber der EU. „Kante zeigen, wenn ich merke, dass bayerische Interessen nicht genug zur Geltung kommen in Brüssel“, so definiert er seinen Kurs, Stichwort Bürokratie. Aber auch: „Bürgernähe reinbringen, vermitteln, erklären. Europa wird oft auch kritisch gesehen.“ Er wolle auch „über die großen Chancen der EU für uns reden“. Noch für November plant er die erste Reise nach Brüssel.
Das heißt: nachschärfen. Eine radikale Wende in der EU-Politik steuert die CSU indes nicht an. 2014 hatte sie das mal versucht, den EU-Kritiker Peter Gauweiler im Wahlkampf hervorgehoben, er beschimpfte die Kommission als „Flaschenmannschaft“ und „nackte, dumme Kaiser“. Einen solchen Kurs würde Parteivize Weber heute keinesfalls mehr mittragen. Die KAS-Studie ergibt auch: 76 Prozent der Deutschen sagen, die EU sei „eine gute Sache“.