Alles auf eine Karte

von Redaktion

VON MARC BEYER

München – Es sind nicht viel mehr als 46 Quadratzentimeter, aber auf dieser winzigen Fläche ruhen umso größere Hoffnungen. Beim Migrationsgipfel diese Woche war die Einführung von Bezahlkarten ein zentrales Thema. Bund und Länder wollen „bundeseinheitliche Mindeststandards“ erarbeiten, bis Ende Januar soll ein Modell entworfen sein. So lange will man in Bayern nicht warten.

Der Freistaat ist eine treibende Kraft bei der Umstellung von Bargeld auf Karte, im Koalitionsvertrag von Ende Oktober ist das Vorhaben dokumentiert. Sandro Kirchner, der zuständige Staatssekretär im Innenministerium, spricht zwar von einem „frühen Stadium“, in dem sich das Projekt befinde, aber dennoch deutlich weiter als auf Bundesebene. Die Schritte bis zu einer Einführung – geplant ist ein Termin im Frühjahr – sind bereits klar definiert.

In einer der nächsten Kabinettssitzungen, möglicherweise schon am kommenden Dienstag, soll der nötige Ministerratsbeschluss eingeholt werden. Eine Vorlage gibt es bereits, wird sie abgesegnet, könnte die Ausschreibung beginnen. Weite Teile der Geldleistungen sollen dann über die Karte fließen, lediglich „einen kleinen Anteil Bargeld“ hielt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zuletzt für denkbar.

Die Politik macht keinen Hehl aus ihrem Bestreben, künftig weniger einladend zu wirken. Man wolle bei den staatlichen Leistungen – ein alleinstehender Asylbewerber erhält monatlich aktuell 410 Euro – „die Attraktivität einschränken“, sagt Kirchner. Der Bezug von Bargeld solle grundsätzlich nicht mehr möglich sein und „Überweisungen an Schleuser oder Transfers in ferne Länder“, an die Familien in der Heimat, ausgeschlossen sein.

Ein Blick nach Freising zeigt, wie die Idee umgesetzt werden könnte. Das Unternehmen PayCenter hat eine Bezahlkarte entwickelt, die im Frühjahr in Pilotprojekten zum Einsatz kommen soll, sowohl in Plastikform als auch als App. Sie basiert auf einer Mastercard, einer Kreditkarte also. „Knapp eine Million Akzeptanzstellen“ gebe es dafür in Deutschland, sagt Peter Schönweitz, der geschäftsführende Gesellschafter, „mehr als bei der Girocard“. Aufladen und verwalten kann sie die zuständige Behörde. Höhe der Einkäufe, Zahl der Käufe pro Woche, Beschränkung auf einen bestimmten Postleitzahlenbereich, Ausschluss besonders heikler Branchen (Glücksspiel) – vieles ist machbar. Sogar ein technischer Support in 86 Sprachen mit Hilfe des Programms ChatGPT und ein neutrales Design, um Karteninhaber nicht zu stigmatisieren.

Manches aber wird sich trotz präzisester Planung nicht regeln lassen. Alkohol vom Kauf auszuschließen, wie es sich manche Politiker wünschen, dürfte in der Praxis an der Gesetzgebung scheitern, aber auch an den Realitäten des Einzelhandels. Schönweitz verweist auf Erfahrungen in Rumänien, wo die Verantwortung für das Einhalten eines Alkoholverbots letztlich an den Kassierer delegiert wurde: „So kann das nicht funktionieren.“ Und je ländlicher der Raum, je kleiner der Laden, desto häufiger dürfte die Karte ohnehin abgelehnt werden. Diese Erfahrung machte der Landkreis Erding bei seinem – letztlich eingestellten – „Kommunalpass“ auf EC-Kartentechnik.

Ohnehin zweifeln Experten daran, dass Bezahlkarten geeignet sind, um Flüchtlingszahlen zu drücken. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung verweist auf den bürokratischen Aufwand und die weiter bestehende Möglichkeit, bargeldlos erworbene Güter hinterher in Bargeld zu tauschen. Migrationsexperte Gerald Knaus führt als Argument die bei Flüchtlingen besonders hohe Beliebtheit von Österreich und Deutschland auf, obwohl die ganz unterschiedliche Leistungen böten. Was diese Länder attraktiv mache, „ist der funktionierende Rechtsstaat“.

Artikel 1 von 11