Madrid – Pedro Sánchez hat sich in Spanien endgültig als Stehaufmännchen bewährt: Der Mann, der immer wieder und erst recht nach der Parlamentsneuwahl von Ende Juli vor dem politischen Aus zu stehen schien, bleibt aller Voraussicht nach Ministerpräsident der viertgrößten Volkswirtschaft der EU. Dafür sorgte am Freitag ein Abkommen mit der baskischen Partei PNV, das den Weg frei macht für eine Wiederwahl des Sozialisten im Unterhaus des Parlaments. Vor dem 51-Jährigen liegt nun eine weitere Amtszeit. Entscheidend waren aber zuvor die ebenso komplizierten wie umstrittenen Abkommen mit den beiden separatistischen Parteien der Region Katalonien.
Der erneute Triumph von Sánchez, der Spanien schon seit fünfeinhalb Jahren regiert, könnte aber ein Pyrrhussieg sein, also ein (zu) teuer erkaufter Erfolg. Denn trotz der verschiedenen Abkommen zur Bildung einer neuen Regierung steht das Land vor turbulenten Zeiten.
Für Entrüstung, ja Aufruhr, sorgt in erster Linie die Amnestie, die Sánchez den „Catalanistas“ um den in Brüssel im Exil lebenden Separatistenführer Carles Puigdemont zugesichert hat. Vereinbart wurde ein Straferlass für alle von der Justiz zwischen 2012 und 2023 verfolgten Unabhängigkeitsbefürworter. Also auch für jene, die mit dem „Noch“-Justizflüchtling Puigdemont an dem gescheiterten Abspaltungsversuch vom Herbst 2017 beteiligt waren.
Die Stimmung kocht. Schon sieben Nächte in Folge protestieren Tausende vor den Quartieren der Sozialistischen Partei (PSOE) in verschiedenen Städten Spaniens zum Teil sehr gewalttätig. Am Donnerstagabend wurden allein in Madrid 24 Demonstranten festgenommen, sieben Polizisten bei heftigen Zusammenstößen verletzt. Mehrere PSOE-Sitze wurden mit Hassparolen beschmiert.
Bei den Teilnehmern dieser als „spontan“ deklarierten Kundgebungen handelt es sich mehrheitlich um Anhänger und Politiker der rechtspopulistischen Partei Vox, die schon mal mit Hitlergruß und „Hoch lebe (Diktator) Franco“-Rufen protestieren. Aber auch die Volkspartei PP von Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo hat Widerstand auf den Straßen angekündigt. Für Sonntag hat sie zu einem ersten landesweiten Protest aufgerufen. Die Amnestiepläne bezeichnet Feijóo als „Anschlag auf den Rechtsstaat“. Isabel Díaz Ayuso, die sehr einflussreiche Regierungschefin der Region Madrid, spricht gar vom Beginn einer „Diktatur“.
Für weitere Aufregung sorgte, dass am Donnerstag Vox-Mitbegründer Alejo Vidal-Quadras (78) in Madrid auf offener Straße niedergeschossen und schwer verletzt wurde. Es gab Spekulationen über ein politisches Attentat, die Polizei schloss aber auch einen Raubüberfall nicht aus.
Die Abstimmung über die Kandidatur von Sánchez im Unterhaus wird wohl nächste Woche stattfinden. Nach Abkommen mit dem Linksbündnis Sumar, mit den beiden separatistischen katalanischen Parteien, der liberalen Junts und der linken ERC, mit PNV und anderen Regionalparteien aller Couleur kann Sánchez auf 179 von insgesamt 350 Stimmen bauen. Die Wiederwahl schon in der ersten Abstimmungsrunde steht also. Es wird erwartet, dass Tausende versuchen werden, die Party der Sozialisten zu stören. Auch Gewalt wird befürchtet.
Die Sozialisten hatten bei der vorgezogenen Wahl am 23. Juli nur den zweiten Platz hinter der konservativen Volkspartei (PP) von Spitzenkandidat Feijóo belegt. Dessen Regierungsbildung misslang – nun regiert Sánchez also mit all jenen, die eigentlich gar nicht mehr zu Spanien gehören wollen. Das wird turbulent. E. RAPPOLD