VON MIKE SCHIER
Die Lesart der Grünen war schnell klar: Die Union „auf dem Dinosaurierpfad des Rückschritts“, twitterte eine Abgeordnete, als Boris Rhein in Wiesbaden verkündete, er regiere nun mit der SPD statt mit den Grünen. Noch immer scheint die Ökopartei, die in Hessen fünf Prozentpunkte verlor, während der schwarze Koalitionspartner 7,6 Punkte dazugewann, den Schuss nicht gehört zu haben: Mit ihrer Art des Regierens, die dumme Ewiggestrigen in ihre Sichtweise von Fortschritt zwingen will, können die Grünen vielleicht noch 15 Prozent Kernwählerschaft mobilisieren, aber keine Mehrheiten gewinnen.
Die Entscheidung in Hessen hat gewaltige Signalwirkung: Nach Markus Söder – der einst fest an Schwarz-Grün als Zukunftsmodell geglaubt hatte, ehe er sich kategorisch wieder abwandte – gibt es nun also auch in der CDU klare Absetzbewegungen. Zu groß ist der Schaden, den die Ampel nicht nur mit ihrem Heizungsgesetz angerichtet hat. Nur noch ein Drittel der Bundesbürger will die jetzige Koalition im Bund fortsetzen, 41 Prozent fordern sofortige Neuwahlen. Dass es unter Schwarz-Grün oder einem Jamaika-Bündnis harmonischer laufen würde als aktuell in der Ampel, glaubt ohnehin keiner.
Es ist noch nicht lange her, dass das Land der ewigen GroKo leid war. Im neuen Parteiengefüge aber steht Schwarz-Rot längst nicht mehr für Größe, sondern vor allem für Augenmaß. Boris Rhein sagte am Freitag, die Bürger wollten nicht bevormundet werden. Fortschritt müsse nicht durch Verbote, sondern durch Anreize erreicht werden. Das dürften viele in Deutschland unterschreiben. Hessen ist vermutlich nur der erste Schritt.
Mike.Schier@ovb.net