Hessen: Rhein trennt sich von Grünen

von Redaktion

VON JENS ALBES UND ANDREA LÖBBECKE

Wiesbaden – Hessen steht vor einem Regierungswechsel. Deutschlands erstes schwarz-grün regiertes Flächenland soll ein schwarz-rotes Kabinett bekommen. Fast fünf Wochen nach der Landtagswahl hat sich die klare Siegerin CDU am Freitag entschieden, mit der SPD Koalitionsverhandlungen zu beginnen.

Bislang regiert die CDU in Hessen seit rund einem Jahrzehnt mit den Grünen, meist recht geräuschlos. Die SPD drückt dagegen schon seit etwa einem Vierteljahrhundert die Oppositionsbank. Mit ihrer Spitzenkandidatin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, hatte sie bei der Wahl im Oktober im Vergleich zur letzten Abstimmung deutlich an Zustimmung verloren.

Nun bekommt die Sozialdemokratie Auftrieb. Rhein sagte: „Wir wollen als CDU den Versuch unternehmen, in Hessen eine Regierung mit der SPD, mit den Sozialdemokraten, zu bilden und zum ersten Mal seit 70 Jahren in einer christlich-sozialen Koalition zusammenarbeiten.“ Man wolle mit der SPD ein Programm schreiben, das Vernunft und Fortschritt miteinander verbinde. „Ein Programm für Vernunft im Umgang mit der Migration. Besonnen, nie mit Schaum vorm Mund.“

Die Entscheidung für die SPD begründete er mit größeren Schnittmengen. Rhein verwies auf die vielen Krisen. „Heute stehen Themen im Fokus, wo wir eine Koalition aus der Mitte heraus bilden müssen.“ Die Grünen seien in den Sondierungen weit auf die CDU zugegangen. „Aber am Ende hat es nicht gereicht“, erklärte Rhein. Und gab dann ein ungewöhnliches Bekenntnis ab: Die Absage an die Grünen sei eine „emotional wirklich schwierige Entscheidung“ gewesen.

Für die Grünen ist die Entscheidung bitter. „Nicht nachvollziehbar“, bezeichnete sie Parteichef Omid Nouripour, selbst mit Frankfurter Wahlkreis und stolzer Eintracht-Fan. Die Beteiligung an Landesregierungen in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen ist für die Grünen stets ein Beleg ihrer politischen Verlässlichkeit und Koalitionsfähigkeit – auch mit der CDU. Das erklärt die Unruhe, die der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz – selbst in einer Regierung mit der CDU – erkennen ließ: „Wir Grüne müssen uns schon auch selbstkritisch fragen, warum uns einstige Koalitionspartner nicht mehr als moderne Kraft der Veränderung, sondern offenbar mehr als eine Art Belastung in schwierigen Zeiten wahrnehmen.“

Könnte die hessische Annäherung von CDU und SPD damit auch auf eine veränderte Stimmung in der Bundespolitik hindeuten? In Berlin galt eine Neuauflage der GroKo rund um die vergangene Bundestagswahl quasi als größtmögliches Übel. Doch inzwischen sind die Karten neu gemischt – und die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP mussten erkennen, wie schwierig das Regieren in einer Dreierkoalition ist. Faeser beschwichtigte allerdings direkt, man dürfte die Entwicklung in Hessen nicht überinterpretieren. „Es ist ein Angebot, Koalitionsverhandlungen zu führen in einem Bundesland.“ Sie meint: nur in einem Bundesland. Faeser selbst will übrigens in Berlin bleiben. „Ich bleibe Bundesinnenministerin.“

Die hessische CDU will am Dienstag die Koalitionsgespräche beginnen. Der Koalitionsvertrag soll „noch vor Weihnachten“ ausgehandelt sein. Am 18. Januar 2024 konstituiert sich der neue Landtag in Wiesbaden – viel später als in Bayern, wo am gleichen Tag gewählt wurde. Als Ergebnisse ihrer Sondierungen mit der SPD nannte die CDU das Bekenntnis zur Begrenzung der irregulären Migration (mit einer Rückführungsoffensive und der Einrichtung von Rückführungszentren) und ein Sicherheitspaket mit mehr Polizisten und Videoüberwachung. Außerdem soll ein eigenes Ministerium für Land- und Forstwirtschaft sowie Weinbau, Jagd und Heimat entstehen.

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