Kapstadt/Buenos Aires – Der Krieg im Gazastreifen hat die Welt tief gespalten. Vor allem im globalen Süden wird der Konflikt deutlich anders bewertet als in westlichen Ländern. Aufgrund ihrer eigenen Geschichte sehen viele Menschen in Afrika und Lateinamerika die Ereignisse durch eine postkoloniale Brille: Für sie sind die Palästinenser vor allem Opfer der israelischen Besatzungspolitik.
„Viele Entwicklungsländer sehen in der Haltung des Westens in der Israel-Palästina-Frage den Beweis dafür, dass er internationale Regeln und Normen selektiv anwendet – je nach geopolitischen Interessen und nicht auf universelle Weise“, so der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stuenkel. Viele afrikanische Staaten haben das israelische Bombardement des Gazastreifens verurteilt. Besonders in überwiegend muslimischen Ländern herrscht Solidarität mit den Palästinensern. Allen voran nimmt Südafrika eine „radikale und äußerst kritische“ Haltung gegenüber Israel ein, sagte Ran Greenstein, politischer Analyst der Universität Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg. Außenministerin Naledi Pandor bezeichnete Israels Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober als „Kollektivbestrafung“ der Palästinenser, die eine „fortwährende Tötung von Kindern und unschuldigen Zivilisten“ einschließe. Südafrika spricht von Kriegsverbrechen durch israelische Streitkräfte, will seine Diplomaten aus Israel zurückrufen und droht mit einer möglichen Ausweisung des israelischen Botschafters.
Auch in Lateinamerika wird viel Kritik an dem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen laut. Die brasilianische Regierung verurteilte das Massaker der Hamas an Zivilisten in Südisrael vor gut einem Monat zwar, rief aber gleichzeitig „alle Parteien auf, größtmögliche Zurückhaltung zu üben, um eine Eskalation der Situation zu verhindern“. Argentinien verurteilte die Angriffe der israelischen Streitkräfte auf zivile Infrastruktur und mahnte die Wahrung des humanitären Völkerrechts an. Klar auf der Seite der Palästinenser stehen die linken autoritären Regierungen von Kuba, Venezuela und Nicaragua. Sie kritisieren den israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen und relativieren die Gewalt der Hamas. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro warf Israel vor, ein System der Apartheid errichtet zu haben und im Gazastreifen Völkermord zu verüben.
Doch auch unter Tel Avivs Unterstützern werden immer mehr kritische Stimmen gegenüber Israel laut. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat eine Waffenruhe im Gazastreifen gefordert. „Es werden Zivilisten, Babys, Frauen und alte Menschen bombardiert und getötet. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, Zivilisten anzugreifen. Wir fordern Israel dazu auf, damit aufzuhören“, sagte Macron dem britischen Fernsehsender BBC. Auch die USA mahnen, palästinensische Zivilisten besser zu schützen. „Ich denke, es wurden einige Fortschritte erzielt“, sagte US-Außenminister Antony Blinken. Es müsse jedoch „viel mehr getan werden“. „Viel zu viele Palästinenser wurden getötet. Viel zu viele haben in den vergangenen Wochen gelitten“, sagte Blinken weiter. „Wir wollen alles tun, um Schaden von ihnen abzuwenden und ihnen so viel Hilfe wie möglich zukommen zu lassen.“
Der Druck auf Israel wächst. In zahlreichen europäischen Städten haben am Wochenende propalästinensische Demos stattgefunden. In London sind nach Polizeiangaben rund 300 000 Menschen am Samstag auf die Straße gegangen. Teilnehmer schwenkten bei dem im Vorfeld umstrittenen „Nationalen Marsch für Palästina“ palästinensische Flaggen und riefen Slogans wie „Waffenstillstand jetzt“ und „Freies Palästina“. Die Organisatoren sprachen sogar von 800 000 Teilnehmern. In Paris demonstrierten mehr als 16 000 Menschen, in Brüssel wurden über 20 000 Teilnehmer gezählt. Propalästinensische Proteste in westlichen Ländern übten Druck auf deren Regierungen aus, sagte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Außer der Regierung der USA unterstütze niemand mehr die israelische „Aggression“, meinte der Chef der im Süden des Libanons aktiven schiitischen Miliz. mit afp/dpa